Rot wie Schnee
wollte. Patriks Probleme reichten schon. Sie sah Johnnys Kochmütze und hörte, wie Donald etwas sagte, was aber im Geräusch der laufenden Spülmaschine unterging. Sie wollte nicht noch mehr hören. Sie dachte an ihre Söhne, und die Angst verwandelte sich in Wut.
»Drogen«, spuckte sie mit so viel Verachtung in der Stimme aus, dass Manuel den Kopf hob und sie traurig betrachtete.
»Du bist mein Freund«, sagte er.
»Niemals!«
»Lass mich erklären«, sagte Manuel, als verteidigte er sein eigenes Leben. »Ich wollte dich nicht anlügen. Ich bin nach Schweden gekommen, um meinen Bruder zu besuchen und um ihm zu helfen. Ich kann Drogen nicht ausstehen. Sie kosten uns das Leben.«
Er beteuerte seine Unschuld, eifrig und wortreich. Ich will das alles nicht, dachte Eva. Ich will nur arbeiten und ein anständiges Leben führen. Sie wollte nicht einmal diese Meetings |351| zu Drogen und Problemen von Jugendlichen. Sie wollte weder Helens Gejammer noch sonst etwas von Drogen hören, und sie wollte Manuels traurige Augen nicht sehen.
»Geh«, sagte sie und wandte ihm den Rücken zu.
»Ich habe geträumt, dass du nach Mexiko kommst«, sagte Manuel. »Dass du mein Land sehen willst …«
Für den Bruchteil einer Sekunde stoppte Eva, aber dann stieß sie die Schwingtür zum Restaurant auf und verschwand.
Manuel stand wie versteinert in der Küche. Eva, seine Freundin, hatte zu ihm gesagt, er solle gehen. Als Slobodan Andersson ihm sagte, er solle das »Dakar« verlassen, hatte es ihn nicht gekümmert. Wegen Eva war er zurückgekommen. Er brauchte nicht mehr abzuwaschen, er brauchte kein Geld mehr zu verdienen, und er musste es auch nicht haben, dem Dicken zu begegnen. Morgen würde Slobodan Andersson aus dem Restaurant verschwinden, vielleicht für immer.
Er machte im »Dakar« auch weiter den Abwasch, weil er Eva mochte und weil er sie treffen wollte. Er legte die Schürze ab und breitete sie über die Spülmaschine. Im Umkleideraum zögerte er. Sollte er gehen, ohne sich von den anderen zu verabschieden? Doch, es musste so sein, es war am besten so.
Die klumpigen Schuhe, die er hatte ausleihen können, kickte er von den Füßen, schlüpfte in die Sandalen, zog die Jacke an und verschwand in die Dunkelheit. Bei den Mülltonnen in der Ecke war ein Prasseln zu hören, worauf er gleich bessere Laune bekam. Die Ratten werden sie jedenfalls nicht los, dachte er, hatte aber sofort ein schlechtes Gewissen. Feo, Eva und Tessie brachten immer den Müll raus. Nicht Slobodan Andersson riskierte, von Ratten gebissen zu werden.
Langsam überquerte Manuel den Hof. Nun bekam der Dicke ja doch seinen Willen, dachte er und ging die schmale Gasse hinauf zur Straße, wo der Haupteingang zum »Dakar« lag. Plötzlich nahm er im Gebüsch auf der anderen Straßenseite |352| eine Bewegung wahr. Er blieb stehen und versuchte herauszufinden, weshalb sich die Zweige bewegten.
Der alte Schrecken aus Oaxaca war sofort wieder da. Die Polizei, war sein erster Gedanke. Aber er schob ihn ebenso schnell beiseite. Warum sollten sich Polizisten im Gebüsch verstecken?
Er erreichte die Straße und sah zum Eingang des Restaurants. Da stand der Dicke. Manuel meinte zu sehen, dass er wieder wankte. Gleichzeitig bemerkte er aus dem Augenwinkel, dass sich aus dem Gebüsch auf der anderen Straßenseite eine Gestaltlöste. Aus einem Reflex heraus duckte Manuel sich hinter einen geparkten Wagen. Die Schattenfigur hielt sich dicht an der Mauer, rannte ein paar Schritte. Irgendetwas kam Manuel bekannt vor. Er warf einen Blick zum »Dakar« und sah, wie Slobodan Andersson langsam die Straße hinunterging. Ein Taxi fuhr an ihm vorbei, und der Wirt hob linkisch die Hand, als wollte er es anhalten. Der ist wieder voll, dachte Manuel.
Der Schatten auf der anderen Seite hatte das Tempo erhöht, und als er an einem Schaufenster vorbeilief, bekam Manuel den Schock seines Lebens. Patricio! Der Mann, der dort drüben rannte, das war Patricio! Manuel traute seinen Augen nicht, es konnte nicht Patricio sein! Die Kleidung war fremd, und die tief heruntergezogene Kappe verbarg das Gesicht, aber das war die Haltung seines Bruders, und es waren diese langen Schritte, diese pendelnden Armbewegungen! So hatte Patricio sich in den Bergen bewegt, rennend, alles hinter sich lassend. Trotzdem konnte er es nicht sein. Patricio saß im Gefängnis. Die Fantasie spielte ihm einen Streich.
Slobodan Andersson war jetzt stehen geblieben. Vergeblich versuchte er sich vorzubeugen,
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