Rot wie Schnee
Illusion, eine Aufgabe zu haben. Die Leidenschaft war weg, und innerlich war er vor Schreck wie gelähmt. Noch mindestens dreißig Jahre im Beruf hatte er vor sich. Er verachtete alle Zeitschriften, die sich der Essenszubereitung verschrieben hatten. Alle enthusiastischen Gäste und neugierigen Bekannten, ihr ständiges Gerede von neu entdeckten Rezepten ermüdete ihn kolossal, verbitterte ihn immer mehr. Seine früheren Freunde hatten ja keine Ahnung, wie es war, ständig schöne Teller mit leckerem Essen präsentieren zu müssen, während das Leben selbst unbekömmlich war und alles andere als schön.
Als er nach Hause kam – in seine Zweizimmerwohnung in Klockarängen –, zündete er eine Kerze an. Kerzen gehörten |66| an sich zum Winter, zur dunklen Jahreszeit, aber beim Auspacken seiner Sachen hatte er die Kerze gefunden und auf den alten Teakcouchtisch gestellt.
Sie verströmte einen süßlichen Geruch nach Vanille. Eine Weile saß er noch auf dem Sofa und starrte in die flackernde Flamme, dann stand er seufzend auf, blies die Kerze aus und ging zu Bett.
Er schlief gleich ein, und er schlief zehn Stunden lang tief und traumlos. Aber am Vormittag erwachte er aus einem Albtraum und setzte sich mit einem Ruck auf. Durch die provisorisch angebrachten Gardinen schien die Sonne.
9
E va Willman nahm zwei Äpfel und legte sie auf beide Seiten des Küchentischs. Das sah schön aus, irgendwie vielversprechend, als ruhte die Zukunft ihrer Söhne auf der Tatsache, dass jeden Morgen zwei rotbackige Äpfel an ihren Plätzen lagen.
Obwohl es erst halb sieben war, wollte sie die beiden wecken. Sie wollte diese Extrazeit haben, um ihnen vom »Dakar« zu erzählen. Früher, als sie noch klein waren, wachten sie immer früh auf. Auf die Weise hatte die Familie noch ein bisschen gemeinsame Zeit, bevor Eva zur Arbeit musste und die Kinder in die Schule gingen. Aber inzwischen bestand das Frühstück nur aus wenigen müden Kommentaren, Vorhaltungen und einem hastig gegessenen Stück Brot.
Sie betrachtete die rotbackigen, dickschaligen Äpfel, deren Aufkleber von ihrer Herkunft in Neuseeland berichteten. Jemand schickt Obst von der anderen Seite der Erde, überlegte sie, und stellte sich einen Obstgarten in einem fremden Land vor.
Sie brühte Kaffee auf und wartete, dass die Kinder aufwachten. |67| Heute wurde es ernst. Sie hatte ein merkwürdiges Gefühl. Tessie sollte sie anlernen, deshalb würden sie und Tessie heute zusammen laufen.
Etwas bekümmerte sie, und das war die Aussprache der Gerichte. Seeteufel und Entenbrust war kein Problem, aber zur Speisekarte gehörte so viel mehr. Dazu kamen die Weine mit ihren ausländischen Namen. Eva hatte eine Speise- und eine Weinkarte mit nach Hause genommen und die Aussprache geübt, hatte sogar Patrik und Hugo um Rat gefragt.
Und selbst wenn sie die Aussprache einigermaßen konnte, blieb noch die Frage, worum es überhaupt ging. Sie hatte keine Ahnung, was »confitiert« oder »Concassée« bedeutete, und ob es sich bei »Gevrey Chambartin« um Rot- oder Weißwein handelte.
Sie hoffte, dass Tessie Geduld mit ihr haben würde und dass die Gäste nicht irritiert reagieren oder sich über sie lustig machen würden.
Eva hatte beschlossen, im Restaurant wortkarg und ruhig aufzutreten. Wenn sie nicht zu viel plapperte, konnte sie den Gästen den Eindruck vermitteln, kundig und zuverlässig zu sein. Sie durfte diesen Job einfach nicht in den Sand setzen. Um jeden Preis musste sie eine Kellnerin sein, auf die sich Slobodan Andersson verlassen konnte.
Es war ja nicht nur eine neue Arbeit. Ich komme in völlig neue Zusammenhänge, dachte sie, ich treffe ganz andere Menschen als bisher bei der Post oder im Supermarkt. Ich werde selbst auch interessanter. Sie kannte niemanden, der im Restaurant arbeitete, und nicht viele ihrer wenigen Bekannten gingen regelmäßig aus. Bald würde sie über anderes reden können als die üblichen Themen.
Plötzlich bekam sie Angst. Und wenn es nun nicht gut ging?
»Hugo«, rief sie, »es wird Zeit!«
Patrik brauchte sie gar nicht erst zu rufen, ihn musste man morgens wachrütteln.
|68| 10
E in Stück an Land geschwemmtes Walfleisch. So hatte Haver den Körper beschrieben. Ann Lindell verstand, was er meinte, als sie die Fotos ansah, die aufgereiht auf dem Schreibtisch lagen.
Ekel und gespannte Erwartung hielten sich in ihr die Waage.
»Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass alle Ermittler einen Mord lieben?«, hatte Ottosson sie vor vielen
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