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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Jahren gefragt. Damals hatte sie den Gedanken als absurd von sich gewiesen, aber inzwischen war sie bereit, ihm recht zu geben.
    Allein schon vor die Wandkarte treten zu können, gab ihrem Leben Sinn, und sie studierte sie mit der verbissenen Konzentration eines Feldherrn. Folgte dem Lauf des Fyrisån, memorierte neue Namen und überlegte krampfhaft, ob sie jemals das Freizeitzentrum Sunnerstagropen besucht hatte.
    Sie ließ ihren Blick vom Hügel zum Fluss wandern und fand schließlich Lugnet. Dort, im Schilfgürtel des Flusses Fyrisån, lag ein menschlicher Körper, der in den Augen von Ola Haver in ein Stück Fleisch verwandelt war.
    Zwei Jungen hatten den Leichnam gefunden. Sie hatten mit Steinen nach den Enten im Schilf geworfen. Der Elfjährige blieb dort zurück, während der andere über die Weide bis zur Straße rannte, um ein Auto anzuhalten.
    Er habe nicht gewollt, dass die Vögel an dem Mann herumpickten, antwortete der Junge, als Haver den Elfjährigen später fragte, warum er geblieben war und ob er sich denn nicht gefürchtet habe.
     
    Obwohl Ann Lindell seit vielen Jahren in Uppsala wohnte, war sie noch nie die Straße von Nåntuna nach Flottsund gefahren. Fredriksson hatte behauptet, es sei eine schöne Strecke, |69| vor allem im Frühling. Er beobachtete gern die Vögel am Fluss. Auf den Äckern bei Flottsundbron versammelten sich im April große Scharen von Kiebitzen.
    »Dann weiß ich, dass Frühling ist«, sagte er. Fredriksson hatte zwei Interessen: Vogelbeobachtung und Pferdewetten.
    Ottosson wusste sogar von einer literarischen Referenz. Jedenfalls behauptete er, Göran Tunström habe einen Roman geschrieben, der zum Teil in der Gegend spielte, und das Buch sei lesenswert. Er bot an, es mitzubringen, falls es einer lesen wollte. Aber darauf ging keiner ein.
    Lindell ließ die Kollegen reden, ohne sich einzuschalten. Sie baute unterdessen für sich eine innere Spannung auf.
    »War es vielleicht ein Bootsunfall?«, warf Ottosson ein. »Ist er womöglich über Bord gefallen?«
    Er stand über die Fotos der Spurensicherung gebeugt am Tisch.
    »Mit durchgeschnittener Kehle?«
    »Ja, ein Außenbordmotor«, sagte Ottosson. Er drehte sich zu ihr um und sah sie an, als wollte er sagen: Halte du zu mir, lass es ein tragisches Unglück gewesen sein.
    Lindell brauchte einige Sekunden, ehe sie begriff, worauf er hinauswollte.
    »Mit nichts als Unterhosen bekleidet?«
    »Nein, schon klar«, murmelte Ottosson.
    »Wer ist es?«
    »Er sieht nicht richtig schwedisch aus«, sagte Fredriksson.
    »Wie, schwedisch?«
    »Na ja, also nicht in Schweden geboren«, erklärte Fredriksson und glotzte Lindell an.
    Sie seufzte, aber mehr aus Sympathie mit Ottosson. Der Frühling war eine Katastrophe gewesen. Vielleicht nicht, was das Wetter anging, das kümmerte sie wenig, aber im Hinblick auf die Arbeit. Trübe Routinegeschichten, eine nach der anderen. Ausbruch von jugendlicher Gewalt in Gränby und |70| Sävja, und ein Messerstecher, der ein paar Wochen lang im Zentrum der Stadt sein Unwesen trieb und Nachtschwärmer angriff, die auf dem Heimweg waren. Rein zufällig und völlig undramatisch wurde er gefasst. Er erwies sich als mental gestört, der Mann wurde wieder in die Klinik eingeliefert, aus der er davongelaufen war.
    Der Sommer war kaum besser gewesen. Bis auf eine Woche bei ihren Eltern in Ödeshög und ein verlängertes Wochenende in einem gemieteten Ferienhaus war sie im Urlaub zu Hause geblieben. Dieses Wochenende war die beste Zeit dieser vier Wochen Ferien gewesen. Erik hatte die Insekten entdeckt, und gemeinsam spürten sie Ameisen, Käfern und Spinnen nach. Für ihn war das eine neue Welt, für sie das reinste Anti-Phobie-Training.
    Sie beobachtete, wie sich seine Bedürfnisse veränderten. Er wurde aktiver, wurde ein neugieriger und aufgeschlossener kleiner Junge, der aber auch mehr forderte. Ein Blatt Papier und einige Buntstifte oder Legofiguren reichten nicht mehr, um ihn zu beschäftigen. Er verlangte, dass Ann mitmachen solle, und er überschüttete sie mit seinen Fragen und Überlegungen. Manchmal wusste sie nicht mehr weiter. Es ermüdete sie, und sie wollte sich am liebsten am Ufer des kleinen Waldsees ausstrecken, lesen oder einfach das Fischadlerpaar am Himmel beobachtend vor sich hin philosophieren. Aber sie konnte Erik nicht an jemand anderen verweisen. Es gab nur sie beide.
    Abends, wenn er eingeschlafen war, ließ sie sich mit einer Flasche Wein in einer uralten Hollywoodschaukel nieder,

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