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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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schaukelte gemütlich und dachte über ihr Leben nach. Normalerweise schob sie solche Gedanken beiseite. Aber hier schienen die Landschaft, die Isoliertheit des Ferienhauses und der totale Kontrast zum Alltag sie zum Nachdenken zu zwingen. Vielleicht trugen Eriks neue Bedürfnisse dazu bei, dass sich ihr die Zukunft ungewisser als bisher darstellte. Sie begriff |71| in diesen erstaunlich sonnigen Tagen in der Hütte, dass auf ihr allein die Verantwortung für seine Entwicklung ruhte. Nur noch wenige Jahre, und er kam in die Schule, und was das mit sich bringen würde, konnte sie nur vermuten. Dann war er bald Teenager, und sie würde auf die fünfzig zugehen.
     
    Sie studierte die erste Seite des rechtsmedizinischen Gutachtens. Der Mann war infolge eines elf Zentimeter langen Schnitts über die Kehle verblutet. Als er im Wasser landete, war er bereits tot. Das Alter wurde auf vierzig bis fünfzig veranschlagt, er war eins sechsundachtzig groß, wog zweiundneunzig Kilo, war in guter physischer Verfassung. Es gab keine besonderen Kennzeichen, bis auf etwas, von dem Lindell annahm, es sei der Rest einer Tätowierung auf dem rechten Oberarm. Dort war Haut von etwa fünf Zentimetern Durchmesser weggeschnitten. Übrig war nur ein unbedeutender dunkler Strich von einem halben Zentimeter Länge, weshalb sie glaubte, es handele sich um eine Tätowierung. Als Grund für das Abschneiden der Haut boten sich zwei Möglichkeiten an: entweder sollte die Identifizierung des Opfers erschwert werden oder die Tätowierung konnte unmittelbar mit dem Mörder in Verbindung gebracht werden.
    Lindell griff nach der Nahaufnahme des Oberarms.
    »Was sollen wir glauben?«, meinte Fredriksson. »Wurde er an Ort und Stelle umgebracht, oder hat ihn die Strömung dorthin getrieben?«
    »Auf beiden Seiten des Flusses haben wir Leute, die sich darum kümmern«, sagte Lindell. »Bisher haben sie allerdings noch nichts gefunden.«
    »Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass eine Leiche auf dem Fluss treiben kann, ohne dass es jemandem auffällt?«
    »Ich weiß es nicht, Allan«, sagte Lindell.
    Sie starrte auf das Foto.
    »Kannst du dich nicht mal bei Tattoo-Jack umhören, oder |72| wie die Tätowierer nun heißen mögen. Unter denen muss es doch Experten geben.«
    »Ist ja nicht mehr viel da, was man vorweisen kann«, sagte Fredriksson.
    Ohne ihn anzusehen, schob sie das Foto über den Tisch.
    »Prüf’s trotzdem.«
    »Klar doch, babe«, sagte Fredriksson.
    Lindell sah ihm lange nach. Sammy warf einen amüsierten Blick zu ihr hinüber, sagte aber nichts.
    »Bei den Vermisstenanzeigen?«
    »Nada«, sagte Sammy Nilsson. »Ich hab das letzte halbe Jahr durchgesehen. Aber ich hab’s im Internet eingegeben. Mal sehen, ob das was bringt.«
    Wenn Tote reden könnten, dachte Ann Lindell und musste lächeln.
    »Ein Arbeiter oder so was war der nicht unbedingt«, sagte Sammy.
    »Du meinst wegen der Hände?«
    Sammy nickte.
    »Ein Daumennagel ist blau«, sagte Lindell.
    »Den kann sich sogar ein Direktor auf dem Golfplatz holen«, meinte Ottosson.
    »Und wie steht’s um die Zähne?«, fragte Lindell.
    »Dem Rechtsmediziner zufolge gut. Die Füllungen in der Jugend waren allerdings mies. Vielleicht im Ausland gemacht.«
    Lindell nickte.
    »Wir müssen hoffen, dass wir am Flussufer Spuren finden.« Sie schwieg. Dann stand sie abrupt auf.
    »Jemand hungrig?«, fragte sie, wartete die Antwort aber gar nicht ab, sondern schnappte sich ihren Block mit den Aufzeichnungen und verließ den Raum.
    Warum fast nackt?, murmelte sie, als sie ganz in Gedanken mit dem Aufzug ins Erdgeschoss fuhr. Das neue Polizeipräsidium |73| war zwar schon im letzten Herbst eingeweiht worden, aber sie hatte sich dort noch immer nicht richtig eingelebt. Sie vermisste die alten Räumlichkeiten. Sicher, jetzt war alles viel heller und funktionaler, aber etwas fehlte. Da sich jedoch niemand sonst nach der Salagatan zu sehnen schien – jedenfalls hatte sie nichts davon gehört   –, hielt sich auch Ann Lindell zurück und behielt ihre nostalgischen Überlegungen für sich.
    Auf dem Weg in die Stadt fuhr sie fort, sich selbst mit Fragen zu bedrängen. Sie ging schnellen Schritts auf der Svartbäcksgatan am Fluss entlang. Hier schwirrten die Schwalben und schnatterten die Enten genauso wie am Fundort der Leiche.
    Die weggeschnittene Tätowierung war ein entscheidendes Detail, das war unschwer einzusehen. Falls das Opfer in Uppsala gelebt hatte und bald als vermisst gemeldet würde, wäre

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