Rot
merkwürdiges Land. Erstaunlicherweise lässt sich auch die Presse nicht darüber aus, dass in fastallen westlichen Ländern bis hin nach Norwegen, Schweden und Estland Helfer und Spione des KGB gefasst wurden. Nur nicht in Finnland, obwohl der KGB dort um ein Vielfaches mehr Helfer hatte als in den Nachbarländern. Der größte Teil der Entscheidungsträger in Helsinki ist doch freiwillig in die sowjetische Botschaft in der Tehtaankatu gerannt, um über seine Aktivitäten zu berichten. Die finnischen Politiker haben nach der Pfeife des KGB getanzt.«
Mironow antwortete nicht, und sie saßen wieder eine Weile schweigend da.
»Und Leo Kara?«, fragte Rostow schließlich.
»Ist in London. Er wird demnächst erledigt.«
29
Sonntag, 9. Oktober
Kati Soisalo saß an einem Ecktisch im traditionsreichen Café Laumer nur wenige hundert Meter entfernt von der Staufenstraße 36, dem Ehepaar Poulsen und ihrer Tochter. Sie wartete auf Helena Poulsen. Die Frau hatte am Telefon unfreundlich geklungen und war erst zu einem Treffen bereit gewesen, als sie ihr Anliegen genannt hatte. Natürlich war sie nicht mit der Tür ins Haus gefallen und hatte nicht gesagt, sie sei Vilmas Mutter, sondern nur erwähnt, sie kenne die Hintergründe der Adoption des Mädchens. Helena Poulsen hatte sich so angehört, als wüsste sie, wer sie anrief. Sicher hatte Vilma den Poulsens gleich zu Beginn von ihrer Mutter und ihrem Vater erzählt und von allem anderen, so gut das ein dreijähriges Kind eben konnte.
Kati Soisalo spürte tief in sich Wärme und fühlte sich wieder als ein Ganzes. Sie hatte den Teil von sich, der fehlte, gefunden. Am Tag zuvor hatte sie Vilma beim Spielen über eine Stunde beobachtet. Das Mädchen machte den Eindruck, als wäre es ein in jeder Hinsicht zufriedenes und fröhliches Kind. Und Joakim Poulsen hatte auf der Parkbank gesessen, Zeitung gelesen und ausgesehen wie ein ganz normaler Familienvater.
Vilma war immer noch nicht an ihrer Seite, aber jetzt wusste sie schon, dass sie das Mädchen in Kürze bei sich haben würde. Es war schwer vorstellbar, dass die Poulsens große Schwierigkeiten machen könnten, schließlich hatte das Paar ein Kind adoptiert, das seinen Eltern entrissen, entführt worden war.
Sie hatte vor einer Stunde eine Tasse Kaffee und ein Stück spanische Vanilletorte bestellt, aber beides nicht angerührt. Die Kellnerinmit einer weißen Schürze warf ihr in regelmäßigen Abständen neugierige Blicke zu, obwohl das Café voll besetzt war mit Omas, die schon beim Kaffeeklatsch gesessen hatten, als sie kam. Sie strich über ihre Stoppelhaare und berührte die Narbe. Ärgerlich, dass sie bei der Begegnung mit Helena Poulsen so aussah. Wer weiß, was die Frau von ihr dachte.
Das bevorstehende Gespräch war das wichtigste ihres Lebens. Wenn alles gut verlief, würde sie erfahren, wann Vilma zu ihr zurückkehren könnte. Sie sagte sich immer wieder, dass Vilmas Wohlergehen im Vordergrund stehen musste; sie dürfte auf keinen Fall abrupt im Leben des Mädchens auftauchen, eine Übergangszeit war nötig. Sie müsste die Poulsens mehrere Male besuchen, Vilmas Erinnerungen an ihre richtige Mutter aufleben lassen, durch die Entführung ausgelöste Traumata behandeln, dafür sorgen, dass ihre Tochter verstand, worum es ging. Am besten wäre es, wenn die Poulsens einwilligten, einen Psychologen in die Gespräche miteinzubeziehen, jemanden, der wusste, wie man in solchen Situationen am klügsten vorging.
Kati Soisalo warf einen Blick auf ihre Uhr, Helena Poulsen hatte zugesagt, spätestens um zwei Uhr im Café zu sein, und es war schon kurz vor halb drei. Sie holte ihr Handy aus der Umhängetasche und wollte gerade auf die Taste mit dem grünen Hörer drücken, als sich die Tür des Cafés öffnete und Helena Poulsen hereintrat. Kati Soisalo spürte, wie ihr Herz schneller schlug, es kam ihr nicht in den Sinn, der Frau die Hand zu geben.
Helena Poulsen setzte sich auf die andere Seite des Tisches, schaute Kati Soisalo kurz an und senkte den Blick.
Die Frau war genauso, wie Kati Soisalo es sich vorgestellt hatte – eine gepflegt, effizient, selbstsicher und kalt wirkende Karrierefrau. In ihrer Zeit als Juristin einer Firma war sie selbst auch so gewesen. Aber irgendetwas in ihrem Wesen passte nicht ins Bild. Helena Poulsen kam hierher, um darüber zu sprechen, dass sie ihre Tochter hergeben musste. Das wusste sie, schließlich hatte sie mitihrem Mann zusammen ein Kind adoptiert, das seinen leiblichen Eltern
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