Rot
entführt worden war. Aber ihr Gesicht zeigte keine Spur von Aggressivität einer sich verteidigenden Mutter oder von Scham eines Menschen, der bei einem Verbrechen ertappt wurde. Kati Soisalo sah sich außerstande, zu bestimmen, was der Gesichtsausdruck der Frau widerspiegelte.
»Du wolltest mich treffen«, sagte Helena Poulsen mit ausdrucksloser Stimme.
»Du hast mit deinem Mann zusammen meine Tochter adoptiert. Am 16. September vor drei Jahren hast du das Mädchen in Helsinki bei Jose Sinko, Mitarbeiter einer Firma namens Pro-Turva, und seiner Ehefrau abgeholt. Meine Tochter war mir drei Tage zuvor im Dubrovniker Gradac-Park entführt worden.« Eine Welle des Hasses durchflutete Kati Soisalo, als sie ihre eigenen Worte hörte. Ihr wurde klar, dass sie die Frau anstarrte, die ihr Vilma weggenommen hatte.
Helena Poulsen war nicht fähig, ihr in die Augen zu sehen. »Wir haben von Vilmas Vergangenheit nichts gewusst, das war eine Bedingung für die ganze Adoption, wir wollten es nicht wissen.«
»Willst du das etwa als Entschuldigung dafür anführen, dass ihr ein Kind, meine Tochter, adoptiert habt, das seiner Mutter geraubt worden ist!« Kati Soisalo Stimme wurde so laut, dass eine Frau mit Hut am Nebentisch die Nase rümpfte.
»Ich versuche nur zu erklären, was für eine Situation das damals war. Ich hatte jahrelang versucht, schwanger zu werden, du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich und Joakim … mein Mann alles für Kunstgriffe probiert haben, bis ich endgültig die Hoffnung aufgegeben habe. Als wir uns dann für eine Adoption entschieden haben, standen wir wie vor einer Wand: Ein finnisches Kind über normale Kanäle zu adoptieren erwies sich als praktisch unmöglich, vor allem weil Joakim schon über fünfzig war. Wir dachten, dass niemand sein Kind zur Adoption freigibt, wenn er nicht dazu gezwungen ist.«
Kati Soisalo erinnerte sich sehr gut, was sie über die Kinderfabriken der Kriminellen gelesen hatte, und fragte sich, ob Helena Poulsen tatsächlich so gutgläubig war. Sie musste sich sehr anstrengen, um ruhig zu bleiben.
»Was hast du nun vor?«, erkundigte sich Helena Poulsen und schaute ihr dabei zum ersten Mal in die Augen.
»Ich will mein Kind natürlich zurückhaben«, verkündete Kati Soisalo. »Aber wir müssen vereinbaren, wie sich dieser … Austausch am vernünftigsten regeln ließe. Ich würde vorschlagen, dass wir uns einige Male mit Vilma zusammen treffen, vielleicht wäre es klug, einen Psychologen an den Gesprächen zu beteiligen. Ich möchte das auf zivilisierte Weise erledigen. Am wichtigsten ist Vilmas Wohlergehen.«
Helena Poulsen schaute auf den Tisch, es dauerte lange, bis sie den Mund öffnete. »Gibt es keine andere Alternative?«, fragte sie schließlich leise.
Kati Soisalo war sich nicht sicher, ob sie die Frage verstanden hatte. »Alternative? Meiner Auffassung nach können wir das entweder im Einvernehmen miteinander klären oder über die Gerichte. Das Endergebnis wird in jedem Falle dasselbe sein, DNA-Proben lügen nicht, Vilma ist meine Tochter. Und vor Gericht würde sicher auch der Frage nachgegangen werden, ob du dich mit deinem Mann einer Straftat schuldig gemacht hast, als ihr ein Kind … adoptiert habt, das man seiner Mutter geraubt hat.«
Helena Poulsen schloss die Augen, seufzte und schaute ihrem Gegenüber erneut in die Augen.
Wieder war Kati Soisalo überrascht, jetzt sah die Frau so aus, als empfände sie Mitleid mit ihr. Vielleicht hatte sie Gewissensbisse.
»Darf ich darüber in aller Ruhe mit meinem Mann reden, ich habe ihm noch nichts von deinem Anruf erzählt. Wir könnten dann morgen darauf zurückkommen«, schlug Helena Poulsen vor.
»Natürlich, redet ruhig darüber«, sagte Kati Soisalo, holte ihre Visitenkarte heraus und gab sie Helena Poulsen. »Ich wohne im Hotel Ramada ganz in der Nähe deiner Arbeitsstelle.«
* * *
Betha Gilmartin und die vierzigköpfige Ermittlungsgruppe des SIS arbeiteten wie besessen.
»Ich habe von der Polizei die Mappe über Alan Beckley bekommen«, rief Colleen Carter im Laufschritt, als sie noch fünf Meter von Betha Gilmartin entfernt war.
Betha Gilmartin beobachtete seit Tagen amüsiert, mit welchem Elan die junge Frau agierte. Wenn das so weiterging, würde sie bald die ganze Ermittlungsgruppe kommandieren. Betha winkte den Leiter der Technischen Abteilung zu sich heran und befahl ihrer Mitarbeiterin: »Fass zusammen.«
Colleen Carter öffnete die Mappe: »Beckley ist, oder genauer gesagt war,
Weitere Kostenlose Bücher