Rot
der Originaldokumente, denn die Geheimprotokolle des Zentralkomitees der KPdSU und die Berichte des KGB hatte man ins Finnische übersetzt.
Der Vorsitzende des Kabinetts öffnete seinen Tresor der Marke Robur, holte das Smirnow-Material heraus, das in einer luft- und wasserdichten Kassette lag, und blätterte hastig, bis er schließlich die Originale der übertragenen Dokumente fand. Sein Russisch war zwar schon etwas eingerostet, aber die Texte sahen vollkommen identisch aus. Nun war das eingetreten, was er bereits seit etwa zwanzig Jahren befürchtete – es existierten auch noch andere Kopien des Smirnow-Materials als jene, die er im Februar 1994 in seinem Tresor eingeschlossen hatte.
Wie auch alle anderen finnischen Politiker, die in den goldenen Zeiten der Finnlandisierung vor der Sowjetunion gekatzbuckelt hatten, erinnerte er sich noch sehr gut an den Oktober 1992. In Finnland herrschte nach fünfundzwanzig Jahren erstmals wieder eine bürgerliche Regierung aus konservativer Kokoomus und Zentrum, die Sowjetunion war zusammengebrochen und AnatoliSmirnows Besuch in Helsinki sah man mit gemischten Gefühlen, auch mit Angst entgegen. Der Mann hatte behauptet, höchst brisante Informationen über so gut wie alle bedeutenden finnischen Politiker zu besitzen, Informationen, deren Aufdeckung vieles nach sich ziehen würde: Anklagen wegen Spionage, Prozesse, die Einberufung des Staatsgerichtshofs … Die Veröffentlichung von Smirnows Material hätte ihn wie auch die meisten anderen Kabinettsmitglieder ruiniert.
Dass dieses Material in seinen Besitz gelangt war, stellte eine politische Meisterleistung dar, die ihresgleichen suchte. Er hatte es geschafft, Präsident Koivisto davon zu überzeugen, dass es im Interesse Finnlands lag, herauszufinden, was Smirnows Material enthielt. Der Präsident hatte daraufhin der SUPO den Auftrag erteilt, das Material während Smirnows Finnlandaufenthalt zu beschaffen. Der Chef der SUPO, Eero Kekomäki, war von Koivisto für dieses Amt ausgewählt worden, also hatte Kekomäki die Anordnungen des Präsidenten gehorsam befolgt. Die SUPO-Mitarbeiter kopierten das Material, und Kekomäki übergab es Präsident Koivisto, und als der sich 1994 aus der Politik und allen staatlichen Ämtern zurückzog, landete es schließlich bei ihm.
Wie zum Henker war man an die Dokumente des Smirnow-Materials herangekommen? Hatte sie jemand kopiert, bevor sie 1994 in seine Hände gelangt waren? Wer brachte jetzt Unterlagen aus dem Material in Umlauf ? Ihm fiel nur eine Möglichkeit ein. Laut Generalstaatsanwalt sollte das von Leo Kara übergebene Material nachweisen, dass ein Mitglied des Kabinetts unschuldig wäre. Vor der Übergabe der Zusammenfassung durch Kara lagen den Behörden aber nur gegen ein Kabinettsmitglied Beweise für Verbrechen vor. Zudem war Eeva Vanhala seinerzeit Mitarbeiterin der SUPO gewesen.
Der Vorsitzende des Kabinetts betrachtete die gerahmten Fotos an den Wänden seines Arbeitszimmers. Auf allen war er zu sehen: mit dem russischen Vizepremier Gennadi Burbulis bei der Unterzeichnungdes Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen Finnland und Russland während eines Treffens, bei dem das Ende des finnisch-sowjetischen Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vereinbart wurde; bei der Unterzeichnung des Maastrichtvertrags; als Ministerpräsident, der eine Regierungssitzung leitet; bei der Feier nach der Präsidentenwahl, beim Shakehands mit Boris Jelzin, Bill Clinton, Nelson Mandela …
In der Zusammenfassung, die Leo Kara der stellvertretenden Generalstaatsanwältin übergeben hatte, wurden die Namen von drei Kabinettsmitgliedern offengelegt, mit wasserdichten Beweisen für ihre Straftaten, und das durfte nicht sein. Der Präsident von Suomen Pankki Erno Laamanen hatte einst zu den jungen Radikalen, zur inneren Opposition der Kommunistischen Partei und zu den Besetzern des Alten Studentenhauses gehört. Später war er zum rechten Sozialdemokraten mutiert und danach zum eifrigsten finnischen Verfechter der Marktwirtschaft und des Neoliberalismus. Kirsti Saurivaara, die Dekanin der School of Science an der Aalto-Universität, gehörte damals zu den ersten Kabinettsmitgliedern. Und der Geschäftsführende Direktor von Fortum, Risto Kankare, war ein junger, aufstrebender Star in der Elite der finnischen Wirtschaft. Sie alle drei zu verlieren wäre ein herber Rückschlag, aber immer noch besser als die Vernichtung des Kabinetts.
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