Rot
in den Topf und nahm den Kaffeekessel vom Herd. Sie drehte sich um zum Küchentisch und erblickte in der Tür den Asiaten. Vor Schreck ließ sie den Topf fallen, der heiße Kaffee schwappte auf ihre Beine. Der Mann, ein Schrank von einem Kerl, den sie in ihrem Leben noch nie gesehen hatte, hielt ein Stück Leder in der Hand und eine große Lampe.
Die Angst und der Schmerz durch die kochend heiße Flüssigkeit brachen gleichzeitig über sie herein. Eeva Vanhala öffnete den Mund und schrie aus Leibeskräften, aus tiefstem Herzen. Es schien so, als käme der asiatische Mann auf sie zu geschwebt, sie schaffte es nicht mehr, sich vor dem Schlag zu schützen, und verlor das Bewusstsein.
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Donnerstag, 6. Oktober
Der europäische Weltraumbahnhof, das Raumfahrtzentrum der ESA, befand sich in der Nähe der Stadt Kourou in Französisch-Guayana. Das Gelände wurde äußerst streng bewacht. Im Nordosten Lateinamerikas herrschte Vorfrühling, was man vornehmlich daran erkannte, dass es wenig regnete, denn die Temperaturen lagen zu jeder Jahreszeit bei über zwanzig Grad Celsius.
Der seit drei Tagen laufende Countdown für den Start 212 näherte sich seinem Ende. Die Trägerrakete Girmand des privaten Raumfahrtunternehmens Master Space Systems mit einer Nutzlast von 8393 Kilo war auf der Abschussrampe startbereit. Die Computer hatten die Funktion aller Geräte unzählige Male überprüft. Das Wetter war nach Aussage der Meteorologen äußerst günstig. In zwanzig Sekunden würde sich das erste Startfenster öffnen. Für den Start und die Gewährleistung seiner Sicherheit waren bisher insgesamt 16 147 Operationen durchgeführt worden. Um die von den Nachrichtensatelliten genutzte geosynchrone Umlaufbahn zu erreichen, benötigte die Trägerrakete eine Geschwindigkeitszunahme (Delta V) von 13 300 Metern pro Sekunde. Einen Teil davon würde man dadurch erreichen, dass die Trägerrakete nach Osten in Richtung der Erdrotation gestartet wurde, und einen anderen Teil durch den Abschuss in Äquatornähe.
T minus ten seconds war aus den Lautsprechern des Weltraumbahnhofs zu hören, als die letzten zehn Sekunden des Countdowns begannen. Bei der Ziffer Fünf sagte eine tiefe Männerstimme: We have ignition, und bei Null hörte man sowohl das Liftoff , die Bestätigung für das Abheben der Trägerrakete, als auch den lauten Jubel des vielköpfigen Startpersonals.
Acht Stunden und achtundfünfzig Minuten später kollidierte die Trägerrakete Girmand in einer Höhe von 35 800 Kilometern kurz vor dem Erreichen ihres Ziels mit einem amerikanischen Nachrichtensatelliten. Der Aufprall zerstörte beide, die Trägerrakete und den Satelliten, auf der Stelle, sie zerbarsten in tausende Teile, die ins Weltall geschleudert wurden und zwei weitere Nachrichtensatelliten vernichteten.
* * *
Es war Nacht, als der Hochgeschwindigkeitszug Acela-Express auf dem Bahnhof Union Station in Washington D. C. anruckte und losfuhr. Jessica Simmons ließ sich auf ihren Platz in der Businessclass fallen, schloss die Augen und schnappte nach Luft, um ein Haar hätte sie den Zug verpasst. Sie war müde. Den ganzen Abend hatte sie damit verbracht, Senator Whitleys Aufträge auszuführen, es war ihr letzter Arbeitstag vor dem Urlaub, aber auf so etwas nahm ihr Chef keine Rücksicht.
Als elfjähriges Mädchen hatte Jessica Simmons mit ihrem Vater, einem Bürgermeister, im Fernsehen verfolgt, wie Tausende jubelnde Deutsche mit allem, was sie in die Finger bekamen, die Berliner Mauer in Stücke schlugen. Damals hatte sie beschlossen, Politikerin zu werden. Anfang der Neunzigerjahre wurde sie in ihrem Entschluss noch bekräftigt, als die Sowjetunion und ihre kommunistischen Satellitenstaaten an ihrer eigenen Unmöglichkeit scheiterten und die US-Truppen den Diktator Saddam Hussein im Irak fast unblutig in die Schranken wiesen. Sie hatte damals aufrichtig daran geglaubt, dass die Politik die Welt sicherer und besser machen kann. Armes, bedauernswertes Mädchen.
Irgendwie war es ihr noch gelungen, vor Bill Clintons Sexskandalen und dem fanatischen Militarismus von Bush jun. und seinenFalken, die sich im Pentagon eingenistet hatten, die Augen zu verschließen. Aber die fünf Jahre als Privatsekretärin von Senator Whitley hatten ihren Glauben an die Politik endgültig zerstört. Einer der renommiertesten Republikaner der USA widersetzte sich leidenschaftlich jedem Rüstungskontrollabkommen mit Russland und forderte lauthals die Errichtung eines umfassenden
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