Rot
Raketenabwehrsystems. Whitley drängte auf die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Mexiko gegen illegale Einwanderer und bekämpfte mit äußerster Aggressivität Präsident Obamas Gesundheitsreform selbst dann noch, als das betreffende Gesetz sowohl im Senat als auch im Kongress angenommen worden war. Überdies betrog er seine Frau mit fast allem, was zwei Beine hatte.
Nie würde sie vergessen, was ihre Mutter gesagt hatte, als sie damals erfuhr, dass sich ihre Tochter eine Arbeit in der Politik suchen wollte: Politiker sind wie Windeln, beide müssen regelmäßig gewechselt werden, und zwar beide aus demselben Grund. Sie musste sich eingestehen, dass ihre Mutter recht gehabt hatte.
Jessica Simmons lächelte, kaufte beim Kellner, der mit seinem Servierwagen vorbeikam, einen Becher Tee und lehnte sich bequem zurück. Es war erstaunlich, dass sie die dienstlichen Probleme trotz der Neuigkeit, die sie am Vortag erfahren hatte, noch so an sich herankommen ließ. In acht Monaten könnten ihr der Senator Robert Whitley und die ganze Politik den Buckel runter rutschen. Endlich hatte sie die Chance, für immer nach New York zu ziehen. Eine neue Arbeitsstelle würde sie während der zwölf Monate ihres unbezahlten Mutterschaftsurlaubs wohl kaum finden, aber darüber zerbrach sie sich jetzt noch nicht den Kopf, für die Mutter eines Kleinkindes waren die Arbeitszeit, die Senator Whitley verlangte, und die knapp drei Stunden Fahrt von Washington nach New York entschieden zu lang.
Sie musste lachen und schüttelte den Kopf, was machte sie sich bloß für Gedanken. Schluss mit den Sorgen, das war doch jetzt die glücklichste Zeit ihres Lebens. Sie war auf dem Weg nach NewYork, um ihrem Mann die freudigste Nachricht der Welt zu überbringen. Neuigkeiten dieser Dimension übermittelte man nicht am Telefon. Wieder hoben sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. Sie hatte den Schwangerschaftstest sicherheitshalber viermal gemacht, einen Irrtum konnte sie sich einfach nicht leisten. Jetzt fand sie es schon fast amüsant, was sie und Brendan alles angestellt hatten, damit sie schwanger wurde. Sie war zur Laparoskopie gegangen und zu Tests nach dem Verkehr und zu Ultraschalluntersuchungen der Eileiter mit Kontrastmittel, die Anzahl und Mobilität von Brendans Samenzellen war mit so gut wie allen möglichen Methoden gemessen worden. Sie hatten auf Alkohol und Kaffee verzichtet, auf den Menstruationszyklus geachtet wie auf einen Weihnachtskalender, Ovulationstests vorgenommen, das Optimum der Hormonwerte gejagt und sich an manchen Tagen geliebt wie die Kaninchen. Und nach jedem Koitus hatte sie geduldig mit hochgelegten Beinen gewartet, damit eines von Brendans kleinen Samenfädchen sein Ziel fand.
Plötzlich rauschte der Zug in enormem Tempo am Bahnhof des Flughafens Baltimore-Washington vorbei, Jessica Simmons konnte kaum das Bahnhofsgebäude aus Beton und das Logo von Amtrak erkennen. Sie schaute auf ihre Uhr, warum war der Zug zu früh hier? Und warum hatte er eben auf der Station nicht angehalten wie sonst immer? Er schoss mit einem atemberaubenden Tempo durch die Nacht, sicher fast mit der Höchstgeschwindigkeit von hundertfünfzig Meilen. Was zum Teufel war hier los, der Acela-Express fuhr im Stadtgebiet nie so schnell. Warum gab es keine Informationen vom Zugpersonal?
Jessica Simmons beschloss zum Wagen der Ersten Klasse zu gehen, um mit der Zugchefin oder dem Zugchef zu sprechen. Sie erhob sich, ohne auch nur zu ahnen, dass der Acela-Express von New York nach Washington auf demselben Gleis auf sie zuraste.
Nur wenige der fünfhundertfünfzehn Reisenden und siebzehn Angestellten der Eisenbahngesellschaft Amtrak in dem Zug begriffennoch, dass sie sterben würden, als sich die zwei stromlinienförmigen Triebköpfe der Hochgeschwindigkeitszüge mit hundertfünfzig Meilen in der Stunde ineinander bohrten.
* * *
Der Fluglotse Mark Hanson beobachtete den Start des Airbus A380 durch die getönten Fenster des Towers auf dem Hartsfield-Jackson-Atlanta-International-Airport, bis das größte Passagierflugzeug der Welt in den dunklen Wolken verschwand, die den ganzen Himmel bedeckten. Der Superjumbo der Lufthansa war so riesig, dass seine Bewegungen wie in Zeitlupe aussahen. Hanson trank den Becher Limonade aus und fluchte, dass er am Vorabend schwach geworden war. Die letzten Flaschen Bier hätte er besser nicht trinken sollen, auch wenn es ein Abend mit den Jungs und ein Match der Atlanta Falcons gewesen war. Allerdings hätte
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