Rot

tausend Euro, nicht einmal annähernd, obwohl es so vereinbart war, und die zweihundert Euro im Monat reichten nicht einmal ansatzweise, um seine Schulden abzuzahlen, auch wenn er selbst nur Steine gefressen hätte. Es war nutzlos, sich bei irgendjemandem zu beschweren, er hatte es natürlich versucht. Gleich am Anfang seines Aufenthalts in Finnland war er bei der Tilgung in Rückstand geraten, und die Gläubiger hatten das Haus seiner Eltern verkauft. Vor zwei Wochen hatten sich Vater und Mutter in Pangwang Hecun gemeinsam vor einen Schnellzug geworfen. So hatte es ihm seine Frau am Telefon erzählt.
    Vor einer Woche hatten die Gläubiger auch sein eigenes Haus verkauft, seine Frau wohnte jetzt bei der Familie ihrer Schwester, die sie angeblich behandelte wie einen Hund. Sowohl das Haus seiner Eltern als auch sein eigenes waren alte Hütten gewesen, der Verkaufserlös hatte nur für die Rückzahlung einiger weniger Kreditraten gereicht. Doch das Schlimmste war gestern geschehen, oder genauer gesagt, gestern hatte er es erst von seiner Frau erfahren. Seine Tochter Ying war in diesem Herbst zum Studium in Tianjin angekommen, aber die Ausbildung kostete fünfzehntausend Yuan im Jahr, ein kleines Vermögen. Die Tochter war für ihn und seine Frau die einzige Altersversorgung, sie besaßen keine Versicherung gegen Krankheiten und niemand würde ihnen auch nur einen Yuan Rente zahlen. Sie waren gezwungen, ihre Tochter so ausbilden zu lassen, dass sie eine gut bezahlte Arbeit bekam. Er hatte sein Geld nach Hause geschickt, um Yings Studiengebühren zu bezahlen, aber auch dafür hatte der Lohn nicht gereicht. SeineTochter musste den Hochschulbesuch abbrechen. Und jetzt war Ying nach Hainan gegangen als »Begleiterin« von Touristen am Strand. Als Prostituierte.
    Der Hammer fiel Jiang aus der Hand, als ein Muskelkrampf seinen Arm krumm zog. Er sank im Geröll auf die Knie und rief seinen Kollegen zu, alles sei in Ordnung, noch ehe jemand ihm zu Hilfe eilen konnte. Der Krampf würde schon von alleine nachlassen, so wie immer.
    Sollte er nach Hause zurückkehren, um Ying zu suchen? Würde Chef Jone ihm seinen Pass zurückgeben, wenn er ihm erklärte, dass er mit der Arbeit aufhörte? Doch was würde er denn zuwege bringen, ohne Arbeit und ohne Geld? Er war einfach gezwungen, irgendwie an Geld zu kommen, ihm musste etwas einfallen.
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    Manas stand mit nacktem Oberkörper im Schuppen seines Opfers und schnaufte. Schweiß perlte auf seiner Haut, die Dutzende Narben zierten, große und kleine, die einen dunkel, die anderen heller als ihre Umgebung. Es wäre sinnlos, sich jetzt den Kopf zu zerbrechen, wie er in den Besitz des Smirnow-Materials gelangen könnte. Die Kamelhaut spannte sich und würde schon dafür sorgen, dass die Frau einen Weg fand.
    Er begann die vierte Serie von Liegestützen – das war Bewegung 8 A. Er kannte die hohlen Phrasen im Übungshandbuch der Alfa-Spezialeinheiten des KGB immer noch auswendig : Kapitel 1, Seite 67. Körperliche Ertüchtigung stärkt die Gesundheit der Sowjetbürger und fördert ihre allseitige Entwicklung. Die Nation wird mit körperlicher Ertüchtigung auf die Erfüllung der Pflicht zur Arbeit und auf die Verteidigung des Vaterlandes vorbereitet. Das Programm der Partei stellt uns die Aufgabe, einen neuen Sowjetmenschen zu erziehen, in dem sich geistiger Reichtum, moralische Reinheit und körperliche Vollkommenheit harmonisch vereinen.
    Als sich die Arme nicht mehr durchdrücken ließen, sank Manas auf den Dielenboden und rollte sich auf den Rücken. Zum Glück bestand diesmal kein Grund zur Eile. Er hatte vom Vorsitzenden des Kabinetts reichlich Informationen über seine drei Zielpersonen und ihre Tagesabläufe erhalten und somit Zeit gehabt, sich die Örtlichkeiten anzuschauen, die er ausgewählt hatte. Im besten Falle war das Töten ein Handwerk. Technische Vorrichtungen, Waffen und Sprengstoff machten das Tötungsritual zu einer Aufgabe, die sachlich-kalt und mit Abstand ausgeführt wurde, es entstand kein echter Kontakt zum Opfer. Die Verbindung zwischen dem Opfer und dem, der es hinrichtete, war jedoch das Entscheidende, nur sie ermöglichte es, zu lernen. Keine Schule und kein Buch konnten so viel über das menschliche Wesen vermitteln wie der Moment, in dem das Leben zu Ende ging – jener letzte Augenblick, in dem das Opfer gezwungen war, der Angst vor dem Unbekannten und dem Verlust von allem, was ihm lieb war, ins Auge zu schauen und sein wahres Ich zu offenbaren, seinen