Rot
seinen Gunsten nutzen sollte. Wollte er Geld oder Macht? Vielleicht beides. Er brauchte nur Vanhalas Material und das Wort Wikileaks in einem Satz zu erwähnen, und schon würde das Kabinett ihm alles geben, was er wollte. Jetzt wusste er so viel, dass es sich niemand leisten könnte, ihn zu verärgern, egal, was er verlangte. Bald würde er in Geld schwimmen, und das war auch gut so, denn die Ermittlungengegen ihn hatten seine eigenen Geschäfte zum Erliegen gebracht. Er würde Kati zu einer Kreuzfahrt in die Karibik einladen, vielleicht ließ sie sich dadurch erweichen, vor allem wenn er zusätzlich dafür sorgte, dass ihr Prozess für sie ein gutes Ende nahm.
Er griff sich an den Hosenschlitz, zwang sich aber, wieder an die Unterlagen auf seinem Tisch zu denken. Die musste er wie mit einem feinen Kamm durchgehen und sich dabei möglichst viele Einzelheiten einprägen. Er wollte sich ein Gesamtbild von dem Material verschaffen und die wichtigsten Dokumente kopieren. Doch zuallererst galt es jemanden zu finden, der Russisch konnte.
Plötzlich erklang aus der Küche ein Klingeln, Ukkola ging zu seinem Laptop. Auf der Facebook-Seite des Kabinettsvorsitzenden gab es einen neuen Eintrag, in dem die Wörter »sofort«, »Jukka« und »Sibeliuspark« versteckt eingebaut waren. Der Vorsitzende verlangte ein Treffen, sofort und noch dazu in seiner Gegend. Der Mann wollte mit ihm Verbindung halten, ohne elektronische Spuren zu hinterlassen. Höchstwahrscheinlich überwachten die KRP oder die Schnüffler von der internen Kontrolle sein Telefon und sein E-Mail-Fach.
Zwölf Minuten später parkte Jukka Ukkola seinen Audi auf der Rajasaarentie in Taka-Töölö und eilte auf dem Parkweg nach Süden in Richtung des Sibelius-Denkmals Passio Musicae. Die hochgewachsene Gestalt des Vorsitzenden war schon von weitem zu sehen, der schwere, massige Mann ging etwas krumm und schwankte, als würde er übers Eis laufen.
»Stimmt es, dass du Eeva Vanhalas Unterlagen in Jokiniemi versteckt hattest? Und ihr gestern Anweisungen für das Abholen gegeben hast?«
Ukkola erschrak. Verdammt, was war jetzt los? So streng und angespannt hatte er den Vorsitzenden noch nie erlebt, und derMann galt immerhin als Inbegriff eines barschen und mürrischen Menschen. Er antwortete mit einem Nicken.
»Vanhalas Dokumente sollten mir gebracht werden. Und was habe ich bekommen – einen Beutel voll mit deinen Unterlagen. Hast du verdammter Grünschnabel Eeva Vanhala, ein anderes Kabinettsmitglied, reingelegt?« Der Vorsitzende zeterte so wütend, dass Speicheltropfen durch die Gegend spritzten.
Jetzt bekam es Ukkola mit der Angst zu tun: »Im Gegenteil. Ich wollte uns alle schützen und habe einem von meinen Leuten befohlen, die Unterlagen auszutauschen. Ich wusste nicht, was sich in Vanhalas Ordnern befand, und ich wollte nicht, dass sie in die falschen Hände geraten. Du hast vorgestern im Sinebrychoff-Park selbst gesagt, dass man Vanhala nicht trauen kann.«
Der Vorsitzende musterte Ukkola einen Augenblick. »Wo befindet sich das Material jetzt?«
Diese Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen, beschloss Ukkola. Vanhalas Unterlagen waren vielleicht noch wertvoller, als er ahnen konnte, die Panik des Vorsitzenden bewies das unbestreitbar. »In Sicherheit. Ich bekomme es heute Abend«, log er.
»Ich will es jetzt sofort haben. Wo ist es?«
»Noch in den Räumen der KRP. Es lässt sich erst nach dem Ende der Arbeitszeit herausholen, in ein paar Stunden«, behauptete er, da ihm nichts anderes einfiel.
»Niemand darf dieses Material lesen.«
»Mein Helfer glaubt, dass auch diese Dokumente mit den Ermittlungen gegen mich zusammenhängen. Sie liegen in seiner Tasche in Jokiniemi.«
Der Vorsitzende dachte kurz nach. »Du bringst die Unterlagen heute Abend um sechs hierher«, sagte er, drehte sich um und ging.
17
Freitag, 7. Oktober
In der Kleinstadt Schaan in Liechtenstein schien die Sonne. Nikolai Mironow, Erster Stellvertretender Leiter des russischen Nachrichtendienstes FSB, schluckte zweimal, nach dem Flug waren seine Ohren noch nicht wieder frei. Vielleicht befanden sie sich hier immer noch ein ganzes Stück über dem Meeresspiegel; durch die Fenster von Andrej Rostows stilvoll eingerichtetem Arbeitszimmer waren schneebedeckte Alpengipfel zu sehen, wohin man auch schaute. Den von Doktor Rostow servierten Kaffee würde er nicht noch einmal anrühren, der war genau so teuflisch stark und bitter wie immer. Er fragte sich, wo Rostow sich den
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