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Rot

Rot

Titel: Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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meine Personalakte aus den Archiven des KGB nicht geerbt?«, fragte Rostow, obwohl er die Antwort kannte.
    »Lediglich die grundlegenden Informationen finden sich da. Nach den Aktenvermerken wurden die anderen Unterlagen im Januar 2000in die Präsidentenkanzlei verlagert. Etwa zwei Wochen, nachdem Putin amtierender Präsident geworden war.«
    Rostow wechselte das Thema: »Darf ich eine Frage zur Situation in Finnland stellen? Wurde schon über das Schicksal Leo Karas, das ist dieser Finne vom UNODC, entschieden? Hat er Zugang zum Smirnow-Material gehabt? Muss der Mann zum Schweigen gebracht werden?«
    Mironow wirkte nachdenklich. »Das weiß ich noch nicht. Ich gebe Bescheid, wenn ich etwas erfahre.«
    * * *
    Leo Kara stand auf der Timonkuja im Helsinkier Stadtteil Tapanila und betrachtete sein altes Zuhause. Die blaue Farbe des zweistöckigen Holzgebäudes blätterte hier und da ab. Das rote Blechdach glänzte im Sonnenschein. Es war ein spontaner Einfall gewesen, hierher zu fahren. Die Frau, die auf ihrem Grundstück mit viel Schwung das Laub harkte, kannte er noch. Hilkka, eine pensionierte Theaterregisseurin, hatte schon in den achtziger Jahren im Haus nebenan gewohnt, und Kara erinnerte sich, dass sie manchmal bei ihnen die Babysitterin gespielt hatte. Dieser Ort war der einzige, den er jemals als sein Zuhause angesehen hatte. Von hier waren sie Ende 1983 nach London gezogen. Dort war seine Kindheit zu Ende gegangen. Und in gewisser Weise auch sein Leben.
    Auf dem Rasen ragte nun ein riesiges Trampolin in die Höhe, ungefähr an der Stelle, wo damals sein Fußballtor gestanden hatte. Auf diesem Stück Gras waren viele Endspiele einer WM oder der Champions League ausgetragen worden. Vater hatte sich allerdings nie zu ihnen gesellt, kein einziges Mal. Diese Erinnerung irritierte Kara. Warum hatte er sich früher nie darüber gewundert? Warum konnte er sich absolut nicht vorstellen, dass Vater mit ihm Fußball gespielt hatte?
    Kara fühlte sich beinahe wohl. Vielleicht, weil alle mit Tapanila verbundenen Erinnerungen vor dem Oktober 1989 entstanden waren. Danach hatte sich sein Leben in ein einziges großes und selbstzerstörerisches Chaos verwandelt. Das Wissen um die Ereignisse in jenem Oktober war anscheinend immer tief in seinem Inneren versteckt gewesen, sein Verstand hatte nur nicht zugelassen, dass er sich daran erinnerte.
    Eine halbe Stunde später parkte Leo Kara den ausgeliehenen Smart auf einem Bußgeldplatz in der Vuorimiehenkatu und ging das Stück bis zum traditionsreichen Restaurant Sea Horse in der Kapteeninkatu zu Fuß. Er gab seinen Mantel beim Portier ab und sah schon von weitem das grellfarbene, geblümte Hawaiihemd Jussi Ketonens, des Exchefs der SUPO, der an einem separaten Tisch saß und konzentriert die Extraausgabe einer Abendzeitung las.
    Kara betrachtete kurz die Seepferdchen auf dem riesigen Wandgemälde im Hauptsaal des Lokals und setzte sich Ketonen gegenüber. Sie gaben sich die Hand.
    »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Ketonen. »Anscheinend hast du dich von den Ereignissen im August gut erholt.«
    »Was macht dein Diabetes?«, fragte Kara, obwohl er sah, dass Ketonens Wangen wieder etwas voller waren. Bei ihrem letzten Treffen vor etwa zwei Monaten hatte er regelrecht abgemagert ausgesehen.
    »Heute zahlst du doch?«, vergewisserte sich Ketonen beim Blättern in der Speisekarte, bevor er auf Karas Frage antwortete. »Ich bin in Bestform, dank der Paläo-Diät.«
    »Paläo…?«
    »Das ist die Steinzeitdiät. Ich esse nur das, woran sich der menschliche Organismus im Laufe von Jahrmillionen am besten angepasst hat: Obst, Fisch, Gemüse, Hackfrüchte, Eier, Schalentiere und fettarmes Fleisch, am liebsten Wild … das heißt, im Prinzipalles, was man in der Natur findet. Diese Kost eignet sich glänzend für einen Diabetiker vom Typ 2, und das Beste daran ist, dass es sich um eine der seltenen Diätformen handelt, bei denen die Größe der Portionen nicht begrenzt wird.«
    Kara musste sich in Erinnerung rufen, wer da vor ihm saß, Ketonen hatte zweiunddreißig Jahre bei der finnischen Sicherheitspolizei gearbeitet, davon die letzten acht als Chef der SUPO.
    Ketonen gab seine Bestellung auf: »Riimihärkä, also gesalzene, dünne Scheiben Rindsfilet, Zander nach Mannerheims Art ohne Salzkartoffeln, Kohlrouladen mit Pilzen und ein Gemüseomelett. Und wir bleiben beim Wasser.« Der altvertraute Kellner verzog keine Miene.
    »Das hört sich eigentlich nicht wie ein Diätessen an«,

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