Rot
lautete Karas Kommentar, dann bestellte er kross gebratene Strömlinge.
»Es hält sich in dem Rahmen, den die Regeln vorschreiben. Aber du wolltest wohl kaum mit mir über meine Zuckerkrankheit reden. Was ist diesmal los?«
Es vergingen reichlich zehn Minuten, in denen Kara bis zum letzten Detail alles erzählte, was in den vorhergehenden Tagen passiert war. »Saara Lukkari von der SUPO sagt, sie habe dir Ville Käräväs Zusammenfassung gezeigt. Sie behauptet, die Anhänge seien Teil irgendeines Smirnow-Materials.«
Ketonen aß sein Fleisch und sah so aus, als hätte er keine Lust, zu antworten. »Wie schaffst du es nur, immer nach solchen Dingen zu fragen, bei denen niemand Fakten vorlegen kann?«
»Was ist das Smirnow-Material?« Kara ließ nicht locker. »Was enthält es?«
»Die als geheim deklarierten Dokumente der Kommunistischen Partei der Sowjetunion über Finnland aus den Jahren 1944–1991.«
»Alle?«
»Alle, die eine Bedeutung haben. Finnland war das Testlabor des KGB, die Aufklärungsdienste der Sowjetunion hatten hier imVerhältnis zur Einwohnerzahl mehr Offiziere im Einsatz als irgendwo anders, und sie hatten hunderte finnische Helfer in der Hand, von denen viele immer noch in gesellschaftlichen Führungspositionen sitzen. Wenn das Smirnow-Material veröffentlicht würde … Es ist offen gesagt ziemlich schwer, sich auch nur vorzustellen, was für ein gewaltiges Chaos das auslösen würde. Dutzende oder hunderte Köpfe würden rollen, das beträfe führende Politiker, Wissenschaftler, Leute aus der Wirtschaft …«
Kara, der konzentriert zuhörte, legte etwas Kartoffelbrei auf ein Stück Fisch.
»Wegen der Tiitinen-Liste wird schon seit zehn Jahren ein großes Theater gemacht, obwohl sich auf der nur etwa zwanzig finnische Entscheidungsträger finden, die seinerzeit Kontakt zum ostdeutschen Sicherheitsministerium, zur Stasi, hatten. Und die Liste enthält nicht mal Namen von bedeutenden Politikern. Verglichen mit dem, was sich im Smirnow-Material findet, ist das nichts weiter als eine leichte Abendlektüre«, verriet Ketonen und schaute Kara unter seinen herabgezogenen Brauen an wie einen Mitverschwörer.
»Wie groß … umfassend ist das Smirnow-Material?«, fragte Kara.
Ketonen, der inzwischen seine Kohlrouladen aß, lachte mit vollem Mund. »Du, in der Sowjetunion verstand man sich darauf, Berichte zu schreiben und Protokolle anzufertigen. Über jedes einzelne Treffen eines finnischen Politikers mit irgendjemandem aus der Sowjetunion wurde ein Bericht abgefasst, das gleiche galt dafür, was andere Finnen von sich gaben: einflussreiche Vertreter der Wirtschaft oder Beamte, Diplomaten, Professoren, Journalisten und sonstige Leute, die Macht ausübten.«
»Aber man ist sich nicht sicher, ob dieses Smirnow-Material wirklich existiert. Richtig?«
»Doch, es existiert, es ist ein historischer Fakt«, versicherte Ketonen. »Der damalige Abteilungsleiter im russischen AußenministeriumAnatoli Smirnow hat sogar im Herbst 1992 hier in Helsinki am Außenpolitischen Institut einen Vortrag über sein Material gehalten.«
Kara war langsam frustriert, er schaffte es einfach nicht, sich ein Bild von der Lage zu machen. »Was ist mit dem Material passiert? Wie gelangten Teile davon in Eeva Vanhalas Besitz?«
»Das ist es ja«, erwiderte Ketonen und trank einen Schluck Wasser. »An dem Punkt bin ich gezwungen, Gerüchte wieder hervorzuholen.«
»Erzähl schon«, drängte Kara.
In dem Moment wurde das Omelett serviert. Ketonen schnitt ein ziemlich großes Stück ab, klappte es doppelt zusammen und stopfte es in den Mund. »Der Sage nach haben zwei SUPO-Mitarbeiter das Material in Helsinki bei Anatoli Smirnows Besuch 1992 kopiert.«
»Und du glaubst, dass es so gewesen ist?«
»Ich weiß es, kann aber nichts beweisen. Bei der SUPO ist es schon immer üblich, die allerwichtigsten und geheimsten Dokumente nicht ins Ein- und Ausgangsbuch aufzunehmen … das heißt, in das Verzeichnis, in dem chronologisch die bei der SUPO ein- und ausgehenden Dokumente eingetragen werden. Die Chefs lagern die wichtigsten Unterlagen in ihrem Tresor ein oder an anderer Stelle, wo niemand sie suchen würde. Ich war zur Zeit von Smirnows Besuch in Finnland Leiter der Abteilung für Gegenspionage und weiß, dass damals zwei SUPO-Mitarbeiter auf Befehl von Eero Kekomäki, dem damaligen SUPO-Chef, einen Auftrag ausgeführt haben. Das Material habe ich ein einziges Mal ein paar Tage nach Smirnows Besuch gesehen. Kekomäki
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