Rot
südlich von Kiilopää auf einem vereisten Hang gestürzt. Beim Versuch, sich mit der Hand abzufangen hatte er sich den Daumen ausgerenkt.
Es musste beim ersten Versuch gelingen. Eeva Vanhala schloss die Augen ganz fest, biss die Zähne zusammen, stand auf und ließ sich so zu Boden fallen, dass sie mit ihrem ganzen Gewicht auf dem Daumen der gefesselten Hand aufschlug. Sie hörte es knacken und spürte einen schneidenden Schmerz, ihr entfuhr ein schriller Schrei und die Augen füllten sich mit Tränen. Es dauerte einige Minuten, bis sie in der Lage war, ihren Daumen anzuschauen. Er befand sich in einer unnatürlichen Stellung, war der Knochen gebrochen?
Sie bewegte den Ring der Handschelle nach vorn und heulte auf vor Schmerz, aber er blieb stecken. Erneut biss sie die Zähne zusammen, schob und drückte so sehr sie konnte und sank zu Boden. Der Schmerz war übermächtig, sie würde das nicht überstehen, der Metallring saß immer noch an der Daumenwurzel fest. Die Minuten vergingen. Der Schmerz klopfte im Daumen, in der ganzen Hand, als hätte sie zwei Herzen.
Plötzlich hörte sie ein Auto. »Fahr vorbei, fahr vorbei …«, flehte sie und wartete darauf, dass dieses Motorgeräusch allmählich leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Doch das geschah nicht. Das Geräusch hörte zwar auf, aber nicht allmählich, sondern auf einen Schlag und ganz in der Nähe. Sie begriff deutlicherals je zuvor, dass dieses Leben wirklich ein Ende hatte. Und das rückte jetzt sehr schnell näher, viel zu schnell. Der wahnsinnige Kirgise war zurückgekehrt.
Eeva Vanhala stopfte sich den Saum des T-Shirts, das auf dem Boden lag, in den Mund und drückte ihre gefesselte Hand auf die Dielen. Dann nahm sie den Schürhaken, der am Herd lehnte, hob die schwere eiserne Stange hoch und schlug mit aller Kraft auf ihre Hand.
Sie stürzte zu Boden und glaubte zu sterben, der Schmerz war so heftig, stärker konnte er nicht mehr werden, sie griff nach dem Handschellenring, er rutschte über ihre blutige Hand, sie war frei. Wenn sie es noch rechtzeitig bis zur Hintertür und in den Wald schaffte, würde der Kirgise sie nie finden …
Manas betrat die mitten im Wald gelegene Hütte zum letzten Mal. Eine Zielperson durfte eliminiert werden, sobald sie nicht mehr gebraucht wurde, und diese Person wurde nicht mehr gebraucht. Der Abstecher hierher würde ihn drei Stunden kosten, aber zumindest durfte er die Frau in aller Ruhe erledigen und so, wie er es wünschte. Für den, der Gefühle lernen wollte, war nichts so lehrreich wie das Beobachten der letzten Handlungen, Worte und Mimik eines Menschen. Er hoffte, dass er irgendwann fähig sein würde, zu verstehen, warum alle Opfer bei ihrem Abschied keineswegs Hass auf ihn empfanden, sondern etwas anderes – Trauer, Sehnsucht …
Er schloss die Haustür, ging ins Zimmer und sah an der Metallstange die blutigen Handschellen baumeln. Die Zielperson war geflohen. Er akzeptierte die neue Situation sofort. Er hatte die Frau nicht falsch eingeschätzt; bisher war ihm nur selten oder noch nie ein Opfer über den Weg gelaufen, das so widerstandslos alles mit sich geschehen ließ. Aber das Gefühl der Angst hatte er wieder einmal unterschätzt oder besser gesagt die Kräfte, die esbeim Opfer freisetzte. Dieses Gefühl hätte er gern in sich als allererstes empfunden.
Manas berührte die Blutspritzer auf den Dielen, sie waren warm genau wie die Handschellen. Die Frau konnte noch nicht weit gekommen sein. Es lohnte sich jedoch nicht, aufs Geratewohl loszugehen und sie zu suchen, auch wenn sie zu Fuß floh, das Gelände war einfach zu weitläufig. Sie würde sich bemühen, irgendwo die Polizei anzurufen. Manas loggte sich mit seinem Blackberry-Telefon ins Netz ein und suchte eine genaue Karte des Gebiets. Bis zum Dorf Fiskars waren es 3,6 Kilometer und bis zur Ortschaft Pohja 6,4 Kilometer. Würde es die Frau wagen, auf der Straße zu laufen und ein Auto anzuhalten, wenn zufällig eins vorbeikam? Gab es in dieser Gegend Häuser, die das ganze Jahr über bewohnt waren? Wenn die Zielperson die Absicht hatte, im Schutz des Waldes zu bleiben, würde die verletzte Hand ihr Tempo verlangsamen.
Manas hatte noch ein anderes Problem. Er konnte die Hütte erst niederbrennen und alle seine eigenen Spuren vernichten, wenn die Frau gefunden war. Die Feuerwehr und die Polizei durch ein Feuer hierher zu locken kam derzeit nicht in Frage. Wäre er so wie andere Menschen, dann würde er jetzt wütend fluchen, das war
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