Rote Gruetze mit Schuss
überhaupt hinwill.
Auf dem Rücken des Deiches huschen vor dem Nachthimmel die Silhouetten einiger Schafe vorüber. Ein einsames Blöken hallt durch die Dunkelheit. Und dann hört sie das Brummen, das schnell lauter wird und zügig in ein Röhren übergeht. In der langen Kurve Richtung Meer flammen sechs grelle Scheinwerfer auf. Das Röhren wird lauter. Dumpf hallt das Dumm-dumm-dumm durch die Nacht.
4
Der Schimmelreiter hängt tief in seinem Schalensitz. Die roten Rallye-Sicherheitsgurte spannen stramm wie Hosenträger über seiner Brust. Aus den Boxen stampft AC/DC. »I’m on the Highway to Hell«, schreit der Schimmelreiter den Song laut mit.
Hauke kommt grade von einem nächtlichen Meeting mit Bounty, die neue Ernte verkosten. Drei solvente Tüten haben sie geraucht und Bountys Scheiß-Hippie-Mucke gehört. Der Schimmelreiter zieht den Regler seiner Anlage noch ein Stück weiter auf. Der Bass pocht in seinem Kopf, und durch das Marihuana kommt ihm die Fahrt noch schneller vor. Jetzt im Auto mit dem passenden Sound wirkt der Stoff erst richtig. Der helle Scheinwerferkegel fliegt über die schmale Straße. Er hat das Gefühl zu schweben. Tacho- und Drehzahlnadeln zittern synchron über die Rundinstrumente. Das unter dem Rückspiegel hängende Met-Horn schaukelt wie in Zeitlupe hin und her. Hauke trommelt den Beat auf dem Lederlenkrad mit. Die Asche der Filterlosen zwischen seinen Fingern fällt auf seine Jeans.
Plötzlich ist da wie aus dem Nichts dieser Schatten. Oder bildet er sich das nur ein? Und dann hört er das Knacken in dem AC/DC-Song, ein kurzes Scheppern, das in ›Highway to Hell‹ absolut nichts zu suchen hat. Was, verdammte Scheiße, war das?
Es ist nur ein kurzer Moment, in dem Hauke sein Auto nach links zieht und gleichzeitig in die Bremsen steigt. Der Wagen schlingert, dreht sich erst nach links, dann nach rechts, Hauke hält dagegen. Keine Chance, er verliert die Kontrolle über das Auto. Der Corolla schießt Richtung Deich, dreht sich im Flug einmal um die Achse und landet erstaunlich sanft, aber mit einem geräuschvollen Rutscher, der auch gegen ›Highway to Hell‹ deutlich zu hören ist, auf dem Dach. Hauke Schröder hängt kopfüber in seinen Hosenträgergurten. Aus dem Aschenbecher fliegen ihm Zigarettenkippen und von den Bodenmatten altes Kaugummipapier und jede Menge Dreck entgegen. Der Motor blubbert, und Bon Scott singt unbeirrt ›Don’t stop me!‹ Hauke dreht den Zündschlüssel, um den Motor abzustellen.
Er kann die Fahrertür nicht öffnen, deshalb kriecht er auf der Beifahrerseite mühsam aus dem Auto. Die Beifahrertür knallt ihm dabei mehrmals auf den Kopf und ritzt ihm einen Kratzer in die Schläfe. Ansonsten ist der Schimmelreiter unverletzt.
»Verdammte Scheiße!«, schreit Hauke. Hilflos rüttelt er an seinem Toyota, um den Wagen wieder auf die Räder zu bekommen. Aber dadurch rutscht das Auto nur noch tiefer in den Graben.
»Scheiß Karre«, brüllt er und versetzt dem geliebten Japaner mit seinen dicken Doc-Martens-Stiefeln einen kräftigen Tritt. »Nee, nä!«
Hauke starrt entgeistert auf den eingedrückten Kotflügel und den traurig herabhängenden Seitenspoiler. Hilfesuchend blickt er verzweifelt die Straße hinunter. Fünfzig Meter weiter Richtung Fredenbüll liegt etwasauf dem Grünstreifen zwischen Straße und neuem Radweg. Als Hauke Schröder darauf zuläuft, sieht er schon das Fahrrad und daneben die Frau, die er eben erwischt haben muss.
»Scheiß Radfahrer«, schimpft er. »Wozu gibt’s denn den neuen Radweg?« Er geht noch etwas schwankend, aber ansonsten ist er auf einmal wieder voll da. Er glaubt, die Frau am Boden zu erkennen: Swaantje Ketels.
In dem Moment tauchen in der Kurve nach Fredenbüll zwei Scheinwerfer auf. Hauke Schröder schießt noch der Gedanke durch den Kopf, ob er schnell in Deckung gehen soll. Doch er bleibt wie angewurzelt stehen. Es ist der Landrover von Brodersen. Der Wagen stoppt neben der verunglückten Fahrradfahrerin. Jörn Brodersen steigt aus.
»Mein Gott, was ist passiert?« Brodersen sieht zu Hauke Schröder, dann zu der verunglückten Swaantje und wieder zu Hauke, der auf die Unfallstelle zustolpert. »Hast du sie erwischt, Schröder?«
»Ich weiß auch nicht. Ich hab nichts gesehen, echt nicht. Was ist mit ihr?« Hauke Schröder atmet heftig, obwohl er nur ein paar Schritte gelaufen ist.
Brodersen steigt einen Schritt in den Graben und beugt sich zu Swaantje hinunter. »Sie ist bewusstlos, aber sie
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