Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
zu versuchen.
Die Metalltür in der kleinen Hintergasse war nur angelehnt. Ich machte sie leise auf und zog gleichzeitig meine Waffe. Man konnte schließlich nie wissen. Langsam schlich ich auf Zehenspitzen den Gang entlang, wobei meine Stiefelsohlen immer wieder auf dem Betonboden kleben blieben. Wahrscheinlich hatte hier jemand Bier oder Saft ausgeschüttet.
Die Tür zu Ewans Büro war geschlossen. Doch ich
konnte sehen, dass im Zimmer Licht brannte. Also packte ich den Türknauf und riss die Tür auf.
Der Anblick, der sich mir bot, war derart überraschend, dass ich ihn vermutlich lange nicht vergessen werde. Ewans nackter Hintern leuchtete wie ein Blinklicht in dem nur schwach erhellten Raum. Er hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt, während die andere auf dem Kopf eines Mannes lag. Seinen eigenen Kopf hatte er zurückgeworfen. Die Augen waren geschlossen. Der Mann vor ihm trug einen grauen Nadelstreifenanzug und schwarze Budapester. Als mir klarwurde, in was ich da hineingeplatzt war, riss ich vor Schreck den Mund auf. Ewan wandte sich zur Tür, und seine Miene verwandelte sich von Ekstase in Schock.
»Raus!«
Ich drehte mich um und schloss hastig die Tür hinter mir. Noch immer stand mir der Mund offen. Ich lehnte mich an die Wand. Nicht die Tatsache, dass Ewan schwul war, schockierte mich, sondern dass er überhaupt ein aktives Sexleben hatte. Bisher war er mir immer wie jemand vorgekommen, der sich vor allem daran aufgeilte, strategisch Informationen zu sammeln und gegebenenfalls weiterzugeben. Aber natürlich haben auch solche Leute Bedürfnisse.
Ich konnte Flüstern aus dem Büro hören. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob es wohl besser wäre, zu gehen. Trotz der peinlichen Situation brauchte ich aber Ewans Hilfe. Da ich so schnell wie möglich bekannt machen wollte, dass ich mich von den Dominae abwandte, schien mir Ewan der Geeignetste zu sein, das in Umlauf zu bringen. Ich musste ihn nur davon überzeugen, dass mich dieser ganze Dominae-Mist anwiderte, und den Rest
würde dann schon er erledigen – da war ich mir sicher. Sobald dieses Gerücht die Runde machte, hoffte ich, dass auch Clovis Trakiya davon erfahren und mich vielleicht sogar kontaktieren würde.
Einige Minuten später wurde die Tür geöffnet. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, wer wohl Ewans Spielgefährte sein konnte. Aber auf den Mann, der nun auftauchte, war ich wahrhaftig nicht vorbereitet.
»Ratsherr Vera!« Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie überrascht ich war, was mir nicht leichtfiel. Mit seinem perfekten Geschäftshaarschnitt – der augenblicklich etwas zerzaust wirkte – und seinem stets korrekten, ja fast pedantischen Auftreten war er mir bisher immer wie ein verklemmter Bürohengst erschienen. So konnte man sich also täuschen. Ich musste beinahe grinsen, schaffte es aber gerade noch, es mir zu verkneifen. Schließlich wollte ich den Mann nicht noch mehr blamieren. Seine Wangen waren bereits jetzt knallrot.
»Sabina«, sagte er und nickte steif. »Ich muss Ihnen sicher nicht erklären, wie außerordentlich schädlich es wäre, wenn irgendetwas von dem hier an … an die Öffentlichkeit gelangen würde.«
»Natürlich nicht.« Ich tat so, als würde ich meinen Mund mit einem Schlüssel versperren. »Meine Lippen sind versiegelt.«
Die Spannung in seinem Körper ließ sichtlich nach. »Danke.«
Ich nickte, da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Es war eine jener Situationen, die sich nur durch ein paar geschmacklose Witze entschärfen ließen. Doch ich hielt mich zurück.
Ratsherr Vera eilte mit gesenktem Kopf zur Hintertür.
Ich sah ihm neugierig nach. Wie war es Ewan nur gelungen, das konservativste Mitglied des Unterrates zu verführen? Mit einem Schulterzucken beschloss ich, dass es mich nichts anging – es sei denn, ich konnte dieses Wissen dazu verwenden, etwas mehr Einfluss auf Ewan zu bekommen.
Ich holte tief Luft und betrat noch einmal Ewans Büro. Diesmal hing seine Hose nicht mehr um seine Knie. Stattdessen lehnte er angezogen an seinem Schreibtisch und rauchte eine Zigarette danach.
Er blickte auf, als ich eintrat. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst verschwinden.«
Ich ließ mich nicht abschrecken, sondern ging mit einem Lächeln auf ihn zu. »Ach, du meintest das Gebäude? Ich dachte, du wolltest, dass ich aus dem Büro verschwinde, damit er weitermachen kann.«
»Du bist manchmal echt ein Arschloch. Weißt du das eigentlich?«
»Ja, hab ich
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