Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
geschlossen hatten. Da es die Zeit der Traubenlese war, kamen die Touristen in Scharen in die kleinen Städtchen des Napa Valley, um ein bisschen Lokalkolorit mitzunehmen. Ich brauchte nicht lange, bis ich das Schild zu den Immortal Vineyards entdeckte. Das Bild eines Vampirs in einem langen schwarzen Umhang und scharfen Eckzähnen, der ein Glas mit rotem Wein in der Hand hielt, war ein todsicherer Hinweis.
Das Gut lag ein Stück abseits der Hauptstraße, am Ende eines kurvenreichen Schotterwegs. Ich stellte den Wagen auf einem Parkplatz ab, auf dem bereits einige Autos standen. Frank zufolge setzte das Weingut das Vampir-Motto auch insoweit um, als es nur nachts für Besucher geöffnet war. Den Sterblichen schien das zu gefallen. Keiner wäre jemals auf die Idee gekommen, dass sie es mit echten Vamps zu tun hatten.
»Okay, Mäusefreund. Wir machen das jetzt so: Wir teilen
uns auf. Ich nehme das Besucherzentrum unter die Lupe, und du schaust dich währenddessen auf dem Gelände um. In einer Stunde treffen wir uns dann hier wieder.«
Giguhl löste seine Nase vom Fenster – nur ein kleiner feuchter Fleck blieb zurück. »Es ist bereits schlimm genug, dass ich diesen demütigenden Pullover tragen muss«, erklärte er hochmütig. »Aber ich werde es nicht tolerieren, dass du dich auch noch mit irgendwelchen Spitznamen über mich lustig machst.«
»Der Pulli steht dir ausgezeichnet – ehrlich. Er bringt das Gelb deiner Augen richtig zur Geltung«, erwiderte ich. Wir wussten beide, dass ich den neuen Spitznamen nicht so einfach wieder vergessen würde.
»Schmeicheleien nützen dir da nichts, Sabina. Ich meine es todernst mit den Spitznamen. So etwas bezeichnet man als Tierquälerei.«
»Pech gehabt, Miezi.«
»Du bist manchmal ein echter Kotzbrocken. Weißt du das eigentlich?« Giguhl bedachte mich mit einem seiner finstersten Blicke.
»Ja, ist mir auch schon zu Ohren gekommen. Wenn du jetzt allerdings mit deinem Klagelied aufhören würdest, könnten wir allmählich mit der Arbeit beginnen.«
Giguhl seufzte. »Wonach soll ich suchen?«
»Nach geheimen Räumen oder unterirdischen Bunkern. Nach allem, was irgendwie bewacht aussieht – ob durch Kameras oder Wachleute, ganz egal.«
»Verstehe. Ich soll also nach einem Raum suchen, vor dem ein großes Schild mit dem Hinweis ›Entführte Magier hier entlang‹ hängt«, meinte Giguhl spöttisch. »Komm schon, Sabina. Du glaubst doch selbst nicht, dass sie die
Magier hier festhalten, wo so viele Besucher hinkommen?«
»Clovis behauptet das zumindest.« Ich zuckte mit den Achseln. »Außerdem verbergen sie sowieso schon die Blutweine, die sie produzieren, und das trotz der Touristen.«
»Da hast du auch wieder Recht«, entgegnete der Kater, klang aber nicht überzeugt. »Trotzdem hoffe ich, dass dieser Clovis nur Unsinn verzapft.«
»Damit wären wir schon zwei. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier am Wagen.« Ich öffnete die Autotür, stieg aus und atmete tief die feuchte Nachtluft ein. Giguhl sprang ebenfalls heraus und landete geräuschlos auf dem Kies. Ich sah ihm hinterher, als er in der Dunkelheit um die Ecke des Hauptgebäudes verschwand.
Auf einmal musste ich wieder daran denken, dass David laut Clovis gar kein Verräter gewesen war. So krank das auch klingen mochte: Insgeheim hoffte ich, dass Clovis gelogen hatte und David doch so verräterisch gewesen war, wie ihn die Dominae dargestellt hatten. Denn wenn das nicht der Fall war, musste ich die Motive meiner Großmutter genauer unter die Lupe nehmen und mich allmählich ernsthaft fragen, warum sie mir diesen Auftrag eigentlich erteilt hatte. Und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden.
Allein die Vorstellung, meine Großmutter könnte mich angelogen haben, verursachte mir Übelkeit. Ich redete mir gut zu, um mich zu beruhigen: Clovis war nicht dumm. Er versuchte, mich zum Zweifeln zu bringen, um seine eigenen Pläne voranzutreiben. Es war bestimmt das Beste, mir das immer wieder bewusst zu machen und mein eigentliches Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Ich lief den Weg zu dem burgartigen Gebäude hoch, in dem sich das Besucherzentrum befand. Der Kasten sah so aus, als hätte man ihn direkt aus Transsilvanien hierhertransportiert – samt Zinnen und Wasserspeier. Rechts neben dem Weg lag ein Stück freies Gelände, das wie ein Friedhof angelegt worden war. Irgendein Witzbold von Designer hatte die brillante Idee gehabt, hier künstliche Grabsteine für berühmte Vampire wie
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