Rote Jägerin - Wells, J: Rote Jägerin - Red-Headed Stepchild
Erzebet Bathory, Vlad Tepes oder Gilles de Rais zu errichten. Ich schenkte ihnen nur einen müden Blick und betrat dann durch die großen Eichentüren das Innere des Besucherzentrums.
Ein paar Wandleuchten warfen ein unheimliches Licht auf die künstlichen Spinnweben und das angeblich alte Gemäuer des Hauses. Der Raum entsprach dem Klischee eines zweit- oder drittklassigen Vampirfilms bis ins Detail.
An einer Wand verlief eine Bartheke, die aussah wie ein schwarz lackierter Sarg samt Deckel. Dahinter stand eine Frau in einem oben geschlossenen schwarzen Umhang und mit falschen Vampir-Zähnen, die den Besuchern Kostproben des frisch gekelterten Weins einschenkte. Schräg gegenüber des Tresens befand sich an der Wand ein Regal mit Vampir-Mitbringseln – Autoaufkleber, Pfähle und Pflöcke aus Plastik, Kruzifixe und Knoblauchstränge. Es war erbärmlich.
Die meisten Sterblichen haben natürlich keine Ahnung, dass die beiden letzten Dinge bei echten Vampiren überhaupt keine Wirkung zeigen. Wir hegen für Kruzifixe zugegebenermaßen nicht gerade eine Leidenschaft, aber eher aus Prinzip als aus Angst. Was den Knoblauch betrifft, so esse ich ihn zum Beispiel liebend gerne geröstet auf einem knusprigen Baguette. Die Vamp-Community pflegt und fördert diese Mythen allerdings bewusst. Wenn
die Sterblichen unsere wahren Schwächen kennen würden, könnte das schließlich zu einer Katastrophe führen.
Eine gut gelaunte Blondine trat zu mir, als sie sah, dass ich einen der Aufkleber betrachtete, auf dem zu lesen war: »Vampire machen es die ganze Nacht.«
»Willkommen in den Immortal Vineyards «, begrüßte sie mich. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ich legte den Aufkleber hastig wieder an seinen Platz zurück, da es mir fast peinlich war, mit so etwas Bescheuertem gesehen zu werden. »Bieten Sie eigentlich auch einen Rundgang an?«, fragte ich.
»Ja, das tun wir. Die nächste Tour beginnt in fünf Minuten. Wenn Sie daran teilnehmen möchten, sollten Sie zur Büste von Bela Lugosi gehen«, erklärte sie ohne jeglichen Anflug eines ironischen Lächelns. »Aber warum probieren Sie nicht vorher noch kurz einen unserer Weine an der Blutbar? Sie sollten auf keinen Fall unseren Sanguinarischen Shiraz verpassen. Der ist einfach unwiderstehlich.« Sie schenkte mir ein zuckersüßes Spitzzahn-Lächeln und zwinkerte. Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, meine eigenen Reißzähne zu entblößen und sie anzufauchen.
Sie ließ mich stehen, um sich einem anderen arglosen Besucher aufzudrängen, und ich trat an die Bar. Einige Gäste lehnten bereits am Sarg und nippten an kleinen Gläsern mit Wein. Es dauerte nicht lange, bis die Brünette mit den ebenfalls falschen Vampir-Zähnen zu mir kam.
»Guten Abend«, begrüßte sie mich. »Ich heiße Drusilla. Darf ich Sie zu einem Gläschen teuflisch guten Weins verführen? Er ist rot wie Blut.«
Ich war inzwischen fast so weit, mich umzudrehen und diesen grauenvollen Ort zu verlassen. Sollte doch jemand
anders meinen Auftrag erledigen! Der ganze Kitsch und die schwachsinnigen Witzeleien wirkten auf mich so charmant wie ein Messer im Auge. Leider blieb mir jedoch nichts anderes übrig, als herauszufinden, ob Clovis die Wahrheit gesagt hatte. Also tat ich es der Bedienung gleich – ich grinste dämlich und nickte.
»Ich habe gehört, der Shiraz soll besonders gut sein«, meinte ich.
»Da haben Sie richtig gehört. Der Sanguirianische Shiraz ist unsere neueste Kreation«, erwiderte sie, während sie eine Flasche hinter der Bar hervorholte und etwas Wein in ein kleines Probierglas einschenkte. »Es handelt sich um einen erdigen Wein mit einem Hauch von Schokolade, Himbeere und Leder.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Leder?«, wiederholte ich ungläubig.
Sie gab ein künstliches Lachen von sich. »Es passt ausgezeichnet. Sie werden schon sehen.«
Ich blickte sie an, während ich einen Schluck nahm. Das Einzige, was ich schmeckte, war Wein. Zugegeben, er war nicht schlecht, aber was verstand ich schon von Wein? Ich gab vorsichtshalber ein paar anerkennende Laute von mir, und die Frau schenkte mir noch einmal nach, ehe sie sich dem nächsten Gast zuwandte.
Zum Glück sammelte sich bereits die Gruppe für die Tour. Ich trank den Rest des Weins in einem Zug aus und schloss mich den anderen Besuchern an, die sich um die Bela-Lugosi-Büste scharten. Außer mir hatten sich zwei Ladys mit typisch texanischem Singsang und hochtoupierten Haaren und ein frisch verheiratetes Paar
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