Rote Lilien
während er hineinging. Der Boden war nass, und schmutzige Fußabdrücke führten quer durch den Raum zur Küche. Doch er wusste, dass das Haus leer war, noch bevor er noch einmal ihren Namen gerufen und es mit wild klopfendem Herzen durchsucht hatte. Dieses Mal griff er sich das Telefon und drückte auf die Schnellwahltaste, während er hinausrannte. »Mama, Hayley ist verschwunden. Sie ist irgendwo hier draußen, aber ich kann sie nicht finden. Sie ist ... o Gott, ich sehe sie. Im zweiten Stock. Sie ist auf dem Balkon im zweiten Stock.« Er warf das Telefon weg und rannte weiter. Sie drehte sich nicht um, als er ihren Namen brüllte, und ging wie ein Gespenst weiter über den Balkon. Seine Füße rutschten auf nassen Steinplatten aus, Blumen wurden zerdrückt, als er den Pfad verließ und zwischen Blumenbeete sprang, um eine Abkürzung zur Treppe nach oben zu nehmen. Mit brennenden Lungen rannte er die Treppe hinauf. Den zweiten Stock erreichte er in dem Moment, in dem sie eine Tür aufstieß. Hayley zögerte, als er wieder ihren Namen rief, und drehte sich langsam um. Sie lächelte. »Tod für Leben.«
»Nein.« Harper rannte auf sie zu, packte sie am Arm und zerrte sie aus dem Regen heraus ins Zimmer. »Nein«, sagte er noch einmal und nahm sie in die Arme. »Spüre mich. Du weißt, wer ich bin. Du weißt, wer du bist. Spüre mich.« Als sie sich wehrte, hielt er sie fest. Er presste sie an sich und wärmte sie, sogar dann noch, als sie den Kopf hin und her warf und nach ihm schnappte wie ein tollwütiger Hund. »Ich will meinen Sohn!«
»Du hast eine Tochter. Du hast Lily. Lily schläft. Hayley, bleib hier.« Und fing sie auf, als sie zusammenbrach. »Mir ist kalt, Harper. Mir ist so kalt.«
»Es ist alles wieder in Ordnung.« Er trug sie durch den riesigen Ballsaal mit den geisterhaft wirkenden Laken auf den Möbeln. Der Regen klatschte an die Fenster. Bevor sie an der Tür waren, wurde diese von Mitch aufgestoßen. Nach einem schnellen Blick auf Hayley atmete er hörbar aus. »Roz sieht nach Lily. Was ist passiert?«
»Nicht jetzt.« Mit der zitternden Hayley auf den Armen schob sich Harper an Mitch vorbei. »Darum kümmern wir uns später. Ihr muss jetzt erst einmal wieder warm werden. Alles andere muss warten.«
19. Kapitel
Harper, der sie von Kopf bis Fuß in eine Decke gewickelt hatte, saß hinter ihr auf dem Bett und trocknete ihr mit einem Handtuch die Haare. »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich aufgestanden bin. Und dass ich hinausgegangen bin, weiß ich auch nicht mehr.«
»Ist dir warm genug?«
»Ja.« Bis auf das Eis, das in ihren Knochen steckte.
Sie fragte sich, ob es ihr je wieder richtig warm werden würde. »Ich weiß nicht, wie lange ich draußen war.«
»Jetzt bist du ja wieder da.« Sie legte eine Hand über die seine. Wärme und Trost brauchte er ebenso sehr wie sie.
»Du hast mich gefunden.« Er drückte ihr einen Kuss auf das feuchte Haar.
»Ich werde dich immer finden.«
»Du hast das Babyfon mitgenommen.« Und das, so dachte sie, bedeutete noch viel mehr. »Du hast daran gedacht, den Empfänger mitzunehmen. Du hast sie nicht allein gelassen.«
»Hayley.« Er schlang die Arme um sie und presste seine Wange auf die ihre. »Ich werde keinen von euch allein lassen.« Dann legte er eine Hand auf ihren Bauch. »Keinen. Das schwöre ich.«
»Das weiß ich. Amelia glaubt weder an Versprechen noch an Liebe. Ich schon. Ich glaube an uns.« Sie wandte den Kopf und küsste ihn. »Das war nicht immer so, aber jetzt tue ich es. Ich habe alles. Sie hat nichts.«
»Tut sie dir etwa Leid? Nach dem, was gerade passiert ist? Nach allem, was passiert ist?«
»Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll.« Es war so schön, sich an ihn zu lehnen und den Kopf an seine starke Schulter zu legen. »Ich dachte, ich würde sie verstehen, zumindest ein bisschen. Wir sind in einer ähnlichen Situation. Ich meine, wir sind beide schwanger geworden und wollten das Kind zuerst nicht.«
»Du bist ganz anders als sie.«
»Harper, du musst das Ganze objektiv sehen - wie bei deiner Arbeit. Wir waren beide nicht verheiratet, als wir schwanger geworden sind. Wir haben den Vater nicht geliebt, wollten nicht, dass sich unser Leben ändert, haben das Kind sogar als Last empfunden. Und dann haben wir unser Kind gewollt. Auf unterschiedliche Art, aus unterschiedlichen Gründen, aber wir haben beide unser Kind gewollt. »Unterschiedliche Art, unterschiedliche Gründe«,
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