Rote Lilien
organisieren, was an den Arbeitstagen liegen geblieben war, sich um Lily kümmern, zahllose andere Aufgaben erledigen -, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte, wie es war, das zu haben, was Leute ohne Vollzeitjob und Kleinkind Freizeit nannten.
Aber wer hätte ahnen können, dass es besser so war? Als sie jetzt plötzlich Zeit hatte, stellte sie fest, dass sie nachdenklich und unruhig war. Aber wenn einem die Chefin befahl, einen Tag freizunehmen, gab es keinen Widerspruch.
Jedenfalls nicht, wenn die Chefin Rosalind Harper hieß. Sie hatte Hayley ohne Lily in Stellas Haus verbannt und ihr gesagt, sie solle sich erholen. Das versuchte sie auch. Sie gab sich alle Mühe. Doch obwohl sie sonst immer gern las, fand sie jetzt keine Ablenkung in ihren Büchern. Der Stapel mit DVDs, den Stella ihr in die Hand gedrückt hatte, konnte sie nicht unterhalten. Und das ruhige, leere Haus ließ sie die Minuten zählen, anstatt sie in den Schlaf zu wiegen. Um die Zeit totzuschlagen, ging sie durch die einzelnen Räume, bei deren Anstrich sie geholfen hatte. Stella und Logan hatten aus dem Haus ein gemütliches Zuhause gemacht, wobei Stellas Sinn für Dekoration und Stil hervorragend von Logans Gefühl für Raum und Tiefe ergänzt wurde. Und natürlich auch die Jungs, dachte sie, als sie vor dem Zimmer mit den zwei Stockbetten und Regalen voller Spielzeug und Comicbüchern, das die beiden sich teilten, stehen blieb. Das Haus war für Kinder eingerichtet worden - viel Licht und Farbe und ein großer Garten, der an einen Wald angrenzte. Trotz der eleganten Gartengestaltung - was bei zwei Profis auch gar nicht anders zu erwarten war - war es ein Garten, in dem Kinder und ein Hund spielen konnten. Sie nahm Parker auf den Arm - der Hund war der Einzige, der ihr Gesellschaft leistete - und streichelte ihn, während sie wieder nach unten ging. Würde sie genauso geschickt sein wie Stella, wenn es um ihr Zuhause und ihre Familie ging? So liebevoll, so klug und vernünftig? Hayley hatte es nicht so geplant. Stella war diejenige, die ständig Pläne machte. Sie selbst hatte einfach nur einen Tag nach dem anderen gelebt, sie war glücklich gewesen mit ihrem Job in der Buchhandlung und ihrem Vater, dem sie half, ihr kleines Haus in Ordnung zu halten. Hin und wieder hatte sie daran gedacht, ein paar Kurse in Betriebswirtschaft zu machen, für den Tag, an dem sich ihr Traum verwirklichte und sie ihre eigene Buchhandlung eröffnete. Irgendwann einmal. Sie hatte auch daran gedacht, dass sie sich verlieben würde - irgendwann einmal. Aber sie hatte es nicht eilig gehabt mit der großen Liebe und allem, was damit zusammenhing. Stabilität, ein Haus, Kinder. Das ganze Drumherum mit dem Minivan und dem Kinder-in-der-Gegend-Herumfahren war so weit entfernt wie der Mond gewesen. Jahre entfernt. Lichtjahre entfernt. Doch inzwischen hatte ihr Leben eine Wendung genommen, mit der sie nie gerechnet hätte. Sie war mit noch nicht ganz sechsundzwanzig Jahren schwanger mit ihrem zweiten Kind und arbeitete in einer Branche, von der sie noch vor zwei Jahren keine Ahnung gehabt hatte. Und sie war so maßlos verliebt, dass es ihr die Luft zum Atmen raubte. Und die Krönung des Ganzen war, dass ein geheimnisvoller und mit Sicherheit psychopathischer Geist beschlossen hatte, sich hin und wieder ihren Körper zu leihen. Als Parker unruhig wurde, setzte sie ihn ab und folgte ihm in die Küche, wo er sich vor die Hintertür setzte und den Türknauf zu hypnotisieren versuchte.
»Okay, dann raus mit dir. Ich weiß ja, ich bin heute nicht gerade eine Stimmungskanone.« Sie ließ ihn hinaus, und er rannte durch den Garten in den Wald, als hätte er dort eine dringende Verabredung. Auch Hayley wollte an die frische Luft. Es war so schön draußen. Der Regen hatte für etwas Abkühlung gesorgt. Sie könnte einen Spaziergang machen oder ein wenig jäten. Oder sich auf den Liegestuhl auf der Terrasse legen und herausfinden, ob die frische Luft einem Nickerchen vielleicht zuträglicher war. Ohne viel Hoffnung kippte sie die Lehne des Stuhls zurück, überlegte, ob sie noch einmal ins Haus gehen und sich ein Buch holen sollte, und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen.
Hayley wachte ein wenig benommen auf, als sie ein lautes Schnarchen hörte. Verwirrt presste sie eine Hand auf ihren Mund, doch das Schnarchen ging weiter. Auf ihren Beinen lag eine leichte Baumwolldecke, und der große Sonnenschirm war so gekippt worden, dass sie im Schatten lag. Das
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