Rote Lilien
den Fluch. Als sie gefragt hat, was das zu bedeuten habe, wollte ihre Mutter nichts mehr sagen und meinte lediglich, sie habe der Familie Harper gegenüber nur ihre Pflicht getan und müsse jetzt damit leben. Aber der glücklichste Tag in ihrem Leben sei der Tag gewesen, als sie Harper House für immer verlassen habe.«
»Sie wusste, dass mein Großvater seiner Mutter weggenommen worden war.« Roz beugte sich vor und legte Harper eine Hand auf die Schulter. »Und wenn die Erinnerung dieser Frau nicht trügt, hat Amelia ihn nicht freiwillig hergegeben.«
»Blutgeld und ein Fluch«, wiederholte Stella. »Wer wurde bezahlt, und wer wurde verflucht?«
»Es muss einen Arzt oder eine Hebamme gegeben haben, möglicherweise auch beides, die Amelia bei der Geburt geholfen haben.« Mitch breitete die Hände aus. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass man ihnen Geld gegeben hat. Vielleicht sind auch einige der Dienstboten hier bestochen worden.«
»Ich weiß, dass das schrecklich klingt«, warf Hayley ein.
»Aber das würde man doch nicht Blutgeld nennen, oder? Eher Schweigegeld.«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen«, stimmte Mitch ihr zu. »Wenn es Blutgeld war, wo war das Blut?«
»Amelias Tod.« Logan beugte sich vor. »Ihr Geist geht in diesem Haus um, also ist sie auch hier gestorben. Bis jetzt hast du keine Dokumente darüber finden können, also müssen wir davon ausgehen, dass ihr Tod vertuscht wurde. Und das geht am besten mit Geld.«
»Der Meinung bin ich auch.« Stella nickte. »Aber wie ist sie hierher gekommen? In Beatrice' Tagebüchern wird sie mit keinem Wort erwähnt. Nirgendwo ist der Name von Reginalds Mätresse zu finden, und es gibt auch keinen Beleg dafür, dass Amelia je in Harper House gewesen ist. Beatrice hat über das Kind geschrieben, und wie sie sich gefühlt hat, als Reginald es hierher gebracht und von ihr verlangt hat, dass sie es als ihr eigenes ausgibt. Hätte sie nicht mit der gleichen Empörung reagiert und es auch in ihren Tagebüchern erwähnt, wenn er Amelia ins Haus geholt hätte?«
»Das hätte er auf keinen Fall getan«, wandte Hayley leise ein. »Nach dem, was wir über ihn wissen, hätte er eine Frau ihres Standes, eine Frau, die er ausnutzte, die er als Mittel zum Zweck ansah, niemals in das Haus gebracht, auf das er so stolz war. Er hätte sie nicht in der Nähe seines Sohnes haben wollen - des Sohnes, den er als sein eheliches Kind ausgab. Es hätte ihn nur ständig daran erinnert.«
»Guter Einwand.« Harper streckte die Beine aus und schlug sie übereinander. »Aber wenn wir annehmen, dass sie hier gestorben ist, müssen wir doch auch davon ausgehen, dass sie hier war.«
»Vielleicht hat sie hier gearbeitet«, schlug Stella vor. Der Ehering an ihrer Hand schimmerte sanft in dem schwächer werdenden Licht, als sie heftig gestikulierte. »Wenn Beatrice sie nicht gekannt hat, wenn sie nicht gewusst hat, wie sie aussieht, könnte es Amelia doch gelungen sein, eine Stellung im Haus anzunehmen, um in der Nähe ihres Sohnes zu sein. Sie singt den Kindern im Haus Schlaflieder vor; sie ist sozusagen besessen von den Kindern hier. Wäre ihr das mit ihrem eigenen Kind nicht genauso gegangen?«
»Das wäre eine Möglichkeit«, meinte Mitch. »In den Haushaltsbüchern haben wir ihren Namen zwar nicht gefunden, aber es wäre eine Möglichkeit.«
»Oder sie ist hierher gekommen, um ihn zu holen.«
Roz sah zuerst Stella, dann Hayley an. »Eine verzweifelte Mutter, die nicht ganz bei Sinnen ist. Sie ist mit Sicherheit nicht nach ihrem Tod verrückt geworden, das wäre dann doch etwas zu weit hergeholt. Könnte es denn nicht so gewesen sein, dass sie hergekommen ist und dann etwas schief gelaufen ist? Vielleicht ist sie ermordet worden. Blutgeld, um das Verbrechen zu vertuschen.«
»Dann ist das Haus also verflucht.« Harper sah die anderen fragend an. »Und sie geht darin um, bis sie gerächt wird? Aber wie?«
»Vielleicht geht es nur darum, dass wir herausfinden, wer sie war«, mutmaßte Hayley. »Und ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Du bist mit ihr verwandt«, sagte sie zu Harper. »Vielleicht braucht es das Blut eines Harper, damit sie Frieden findet.«
»Das klingt logisch.« David schüttelte sich. »Und gruselig.«
»Wir sind logisch denkende Erwachsene, die sich zusammengesetzt haben, um über einen Geist zu sprechen«, erinnerte ihn Stella. »Gruseliger wird's nicht mehr.«
»Letzte Nacht habe ich sie gesehen.« Alle starrten Hayley an. »Warum hast
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