Rote Lilien
angestrengt den Baum musterte. »Wie wär's mit dem da?«
»Gut. Dann schneid ihn jetzt ab.« Er drückte ihr die Schere in die Hand, und da er so dicht neben ihr stand, konnte er außer den Pflanzen auch ihr Parfüm riechen - sie benutzte immer etwas Leichtes mit einem überraschenden Unterton. »Wie viele willst du machen?«
»Etwa ein Dutzend.« Er vergrub die Hände in den Taschen, während er sich vorbeugte, um sie zu beobachten und an ihr zu schnuppern. Und sich zu sagen, dass er für eine gute Sache litt. »Mach weiter. Such den Nächsten aus.«
»Ich habe nicht so oft auf den Anbauflächen zu tun.« Sie zog noch einen Trieb zu sich herunter, warf Harper einen fragenden Blick zu und bekam ein Nicken als Antwort. »Die Arbeit hier draußen ist schon etwas anderes als im Verkauf, wo ich immer nur die Waren in die Regale räume und mit den Kunden rede.«
»Aber du bist doch sehr gut darin.«
»Ja, schon, aber hier draußen ist man den Pflanzen doch viel näher. Stella kennt sich hier aus, und Roz weiß sowieso alles. Ich würde es gerne lernen. Je mehr man weiß, desto besser kann man verkaufen.«
»Ich würde mir lieber den Trieb da ins Auge rammen, als jeden Tag im Verkauf stehen zu müssen.« Sie lächelte, während sie weiterarbeitete.
»Aber du bist ja schließlich ein Einzelgänger, oder irre ich mich da? Ich würde verrückt werden, wenn ich so wie du die ganze Zeit im Veredelungshaus arbeiten würde. Ich bin gern mit Menschen zusammen und freue mich, wenn sie mir sagen, was sie suchen, und warum. Verkaufen liegt mir auch. Sie nehmen diese hübsche Pflanze und geben mir Geld dafür, so einfach ist das.« Sie lachte, während sie noch einen Trieb in den Eimer stellte. »Und genau deshalb brauchen du und Roz jemanden wie mich - damit ihr euch wie die Eichhörnchen in euren Höhlen verkriechen und stundenlang mit den Pflanzen beschäftigen könnt, die ich dann verkaufe.«
»Es scheint zu funktionieren.«
»Das sind genau ein Dutzend. Und was jetzt?«
»Hier drüben habe ich Wurzelschösslinge, die ich durch anhäufeln von Pflanzen gewonnen habe.«
»Ich weiß, wie man das macht.«
Sie starrte auf das Beet mit den schlanken, gerade gewachsenen Schösslingen.
»Man häufelt die Erde an, um die Wurzelbildung anzuregen, und schneidet im Winter stark zurück. Wenn die neu gewachsenen Triebe gut bewurzelt sind, schneidet man sie von der Mutterpflanze ab und pflanzt sie ein.«
»Du hast dich informiert.«
»Ich will eben was lernen.«
»Das merkt man.« Es war ein weiterer Grund dafür, warum es bei ihm gefunkt hatte. Bis jetzt hatte sich noch keine Frau, die ihm wirklich gefallen hatte, für das Gärtnern interessiert.
»Wir benutzen dazu ein scharfes, sauberes Messer. Damit entfernen wir alle Blätter von den Reisern - den Trieben, die wir gerade geschnitten haben. Aber wir lassen einen kleinen Stummel, etwa drei Millimeter, von der Petiole, dem Blattstiel, stehen.«
»Ich weiß, was eine Petiole ist«, murmelte sie, während sie es sich von Harper zeigen ließ. Gute Hände, dachte sie. Schnell, geschickt, sicher. Trotz oder vielleicht wegen der vielen kleinen Schnittverletzungen und Schwielen sahen sie elegant und sehr männlich aus. Für Hayley drückten seine Hände genau das aus, was er war ein Spross einer wohlhabenden Familie, der harte, körperliche Arbeit verrichtete. »Du schneidest die weiche Spitze oben ab. Und jetzt pass auf.« Er drehte sich zu ihr, damit sie besser sehen konnte, und ihre Köpfe neigten sich zueinander.
»Wir brauchen das erste Auge an der Basis des Triebs, daher schneiden wir knapp darunter in den Stiel. Du setzt das Messer im Winkel an und machst einen Schnitt nach unten, dann schneidest du von unten nach oben hinter das Auge. Und dann ...« Behutsam nahm er den Rest des Blattstiels zwischen die Finger, zog das Auge vom Stiel und zeigte es ihr. »Das kann ich auch.«
»Dann los.« Zu seiner Erleichterung war sie sehr vorsichtig, und er hörte, wie sie bei jeder Bewegung leise flüsternd seine Anweisungen wiederholte. »Ich hab's geschafft!«
»Gut gemacht. Jetzt den Rest.« In der Zeit, in der sie drei Augen schnitt, schaffte er sieben, aber das war ihr egal. Dann zeigte er ihr, wie sie sich an die Wurzelschösslinge stellen sollte, um die Seitentriebe und Blätter an den unteren dreißig Zentimeter der Unterlage zu entfernen. Hayley war sich bewusst, dass es ein Trick war, und vermutlich würde sie später ein schlechtes Gewissen deshalb haben -
Weitere Kostenlose Bücher