Rote Sonne über Darkover - 5
Euch an meiner Schulter weinen lassen. Oder wenn ich ein großer Held wäre statt eines zweitklassigen Raumfahrers mittleren Alters, könnte ich mir Euch über die Schulter werfen und im Eiltempo diesen Berg hinuntersteigen. Wie die Dinge nun einmal liegen - « er betrachtete das Funkgerät » - bin ich zu nicht viel nütze.«
»Habt Ihr herausgefunden, was damit nicht stimmt?«
»Ich habe die meisten Fehler, die vorliegen könnten, eliminiert«, sagte er, »und ich fürchte, es ist der Abstimmkristall. Und wenn das stimmt, weiß ich nicht, was ich da machen soll. Wer auch immer dieses Flugzeug ausgerüstet hat, er hätte einen Ersatzkristall zu der Notausrüstung tun sollen, aber er hat es nicht getan, und ich wünschte, er wäre hier, und er müßte das Ding an meiner Stelle reparieren.«
»Zeigt mir den Kristall.«
Er holte ihn aus seiner Nische im Innern des Funkgeräts und hielt ihn ihr auf der Handfläche hin, ein kleines, glitzerndes Ding von der Größe eines Gerstenkorns. »Ich fürchte, er ist gesprungen.
Normalerweise schwingt er wie eine Glocke auf seiner eigenen natürlichen Frequenz, und sie ist bei allen Kristallen, die so sind wie dieser, die gleiche. Deshalb sind alle Funkgeräte aufeinander abgestimmt.«
»So machen es die Techniker in den Relais auch.« Marguerida faßte im Ausschnitt des häßlichen terranischen Kleidungsstücks nach ihrer Matrix. »Ja, er ist gesprungen«, bestätigte sie einen Augenblick später. »Ich höre den Ton, in dem er schwingen sollte, aber er ist für meine Stimme zu hoch, als daß ich ihn singen könnte.
Doch mir fällt dabei ein …«
»O nein.« Er zog rasch seine Hand zurück. »Ich kenne meine Grenzen, hoffe ich. Ich möchte Eurem Stein nicht in die Nähe kommen.«
»Das dürft Ihr auch nicht. Wenn Ihr ihn berührtet, würde es mir das Bewußtsein rauben und mich vielleicht sogar töten. Nein, aber ich habe hier und da am Berg Quarzadern gesehen. Wenn ich ein Stückchen fände, das den richtigen Ton singt …«
»Wißt Ihr, daß könnte klappen.« Er spähte noch einmal in das Innere des Funkgeräts. »Das Stück, das Ihr findet, wird wahrscheinlich die falsche Form haben, aber ich kann die Kontakte so verändern, daß sie passen. Mein Gott, seid Ihr klug! Was habt Ihr gemacht, bevor Ihr Bewahrerin wurdet?«
»Da war ich ein Kind. Ich bin mit neun Jahren zur Ausbildung nach Alba gekommen. Davor lebte ich bei meiner Mutter, lief durch den Wald, ritt auf Pferden. Mein Onkel Pablo lehrte mich die Geheimnisse des Waldes; auf dem Land muß jedes Kind lernen, wie man überlebt. Ist es auf Terra anders? Wenn ihr dort keine Schneestürme und keine Banshees habt, muß es doch andere Gefahren geben. Braucht ihr die Kinder nicht darin zu unterrichten, wie sie am Leben bleiben?«
»Ich habe keine Kinder«, antwortete er. »Ja, sie müssen lernen, im Verkehr achtzugeben und vorsichtig mit schweren Maschinen und gegenüber Fremden zu sein. Ich bin auf einer Fischereistation aufgewachsen - das ist eine künstliche Insel mitten im Meer -, und das erste, was ich lernen mußte, war, nicht hinunterzufallen.«
»Und als Ihr Raumfahrer wurdet, mußtet Ihr lernen, kein Fenster zu öffnen?«
Er lachte. »Die kann man nicht öffnen. Nein, die erste Regel ist, sich niemals außer Reichweite eines Handgriffs zu begeben. Und die zweite ist, seinen Schiffsgefährten nicht auf die Nerven zu fallen.
Wenn man manchmal monatelang in einem kleinen Schiff zusammengedrängt ist, kann die kleinste Irritation zu einem Wutanfall führen. Es sind schon wegen eines Niesens oder eines Lispelns Morde vorgekommen oder zumindest versucht worden.«
Marguerida hielt Umschau. Auf der einen Seite lag der Wald, Baum auf Baum in kühlem grünem Schatten, bis sie vor dem Blick verschwammen wie Fische in den Tiefen eines Teiches. Auf der anderen Seite fiel der Hang steil ab. Der nächste Gipfel war meilenweit entfernt, und dazwischen lag eine Welt voll leerer Luft.
»Warum geht ihr in den Raum, wenn das so bedrückend ist?«
»Ah! Habt Ihr Euch je die Sterne angesehen? Habt Ihr, wenn all die kleinen Monde untergegangen sind, die Augen emporgewandt und sie erblickt, hell leuchtend vor der Dunkelheit, schimmernd wie Juwelen, wie Wasser für den Durst, wie Musik? Von der Zeit an, als ich laufen konnte, wollte ich zwischen ihnen sein. Sechs Jahre lang habe ich Mathematik gebüffelt, wenn ich hätte Fußball spielen oder hinter Mädchen herjagen oder schlafen können. Und wenn man es dann geschafft
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