Rote Spur
ungeduldig. Nachlässig. Und das Risiko steigt – eine |431| Sicherheitspatrouille, die Polizei, ein Clubmitglied, das etwas vergessen hat. So gegen ein Uhr schickt man ein paar Leute hin, die die Stelle absichern und Ausschau halten. Das übrige Team taucht mit den Lkws, Transportern oder was auch immer sie benutzen erst gegen Viertel vor zwei auf. Aber es sind Moslemextremisten, sie sind höchst vorsichtig, denn der Laptop ist weg. Vielleicht werden die Wachen schon um Mitternacht postiert. Oder noch früher. Wir werden sehen.«
»Wie sollen wir vorgehen?«
»Wir werden uns das Geld holen.«
»Welches Geld?«
»Bei einer solchen Transaktion ist immer Geld im Spiel. Bargeld. Das ist eine Szene, in der niemand jemandem vertraut. Man bezahlt nicht im Voraus oder mit Scheck, und man glaubt auch niemandem, der behauptet, die Summe überweisen zu wollen. Man will das Geld bar auf die Hand, und man will es nachzählen. Einer bringt die Schmuggelwaren, ein anderer inspiziert die Ware und händigt das Geld aus. Das ist immer so. Und wenn es um Waffen geht, wird in Dollars bezahlt.«
»Wir sind nur zu zweit.«
»Wir warten, bis die Transaktion über die Bühne gegangen ist. Wir interessieren uns nicht für die Waffen, wir wollen die Kerle, die mit dem Boot wieder rausfahren. Durch diesen engen Kanal. Sie haben das Geld …«
Aus einer Seitentasche seines Rucksacks holte er einen Stift, zog die Serviette heran und zeichnete darauf in schnellen Strichen die Straßen, das Meer, den Wellenbrecher.
»Ich werde mich hier vorn verbergen, an der Spitze des Wellenbrechers. Du versteckst dich hinter dem Strandweg, hinter dem Graswall. So decken wir beide Ausgänge. Bei einer solchen Operation ist es üblich, dass die Lieferanten und die Empfänger beim Umladen helfen, denn es ist im Interesse aller, dass die Transaktion schnell über die Bühne geht und die Ware sicher abgeliefert wird.«
»Warum?«
|432| Wieder lächelte er über ihren Drang, alles zu erfahren. »Weil sie auch noch in Zukunft Handel treiben wollen, sie wollen ihren Ruf nicht aufs Spiel setzen, sie werden den Ehrenkodex befolgen. Mit ein bisschen Glück wird also das Boot mit dem Geld zum Schiff zurückkehren, wenn die Fracht zum Tor rausgeht. Ich werde sie beim Wellenbrecher aufhalten, alles, was du tun musst, ist, auch ein paar Schüsse abzufeuern. Hierher, in Richtung Tor, flach, in den Boden. Es ist dunkel, wir werden sie überrumpeln, wir versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass wir viele sind. Ich werde eine Salve mit der AK abfeuern, dann mit der H&K. Du nimmst die andere AK und die Pistole. Du wartest, bis ich schieße, dann feuerst du erst die eine, dann die andere Waffe ab, einzelne Schüsse, fünf oder sechs, ganz unterschiedliche Geräusche, das erweckt den Eindruck einer Übermacht. Das brauchen wir.«
Er griff nach seiner Tasse und trank den letzten Rest Kaffee aus. »Mein Gott, Lukas«, sagte sie.
Auszug aus:
Eine Chaostheorie, Human & Rousseau, 2010
Er zog die logischen Schlüsse. Er glaubte, ich mache mir Sorgen über das, was uns bevorstand, legte seine Hand auf meine und sagte: »Wenn alles schiefläuft, legst du die Waffen hin und rennst weg. Dahin, wo es hell ist. Zum Hotel. Wasch deine Hände und Kleider, um die Schmauchspuren zu entfernen. Warte im Hotel auf mich.«
»Das ist es nicht«, erwiderte ich, denn ich hielt es nicht mehr aus. »Ich habe dein Profil erstellt. Ich weiß, was du bei der Marine gelernt hast. Aber … Aber woher weißt du zum Beispiel, dass alle beim Abladen helfen oder wie man Handys ohne Ausweis kauft, wie man am Kap Waffen organisiert, wie man Autos stiehlt und kurzschließt? Und dass man Schmauchspuren abwaschen muss?«
Später, am Graswall, schämte ich mich für meinen Ausbruch und meine dumme Ausdrucksweise. Zu spät fiel mir ein, was ich hätte sagen sollen: »Es spielt keine Rolle, wo du all dieses Wissen herhast, es spielt keine Rolle, wo du das gelernt hast. Aber warum
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vertraust du mir nicht die Wahrheit an? Warum vertraust du meiner Liebe nicht?« Doch da war es bereits zu spät.
Ich sah, wie er erst an mir vorbeischaute, zu einem Punkt am Horizont. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich allmählich. Er wurde weicher, wie bei einem Menschen, der eine traurige Nachricht überbringen muss. Und dann sagte er, mit einer Stimme in der Färbung eines Regentages, etwas sehr Merkwürdiges: »Ich habe studiert, um herauszufinden, wann wir unsere Unschuld verloren haben, und es ist mir
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