Rote Spur
verletzlich war. Dann hatte ich einen Punkt, an dem ich den Hebel ansetzen konnte. Aus diesen beiden Gründen musste ich ihn isolieren, ihm allein gegenübertreten. Was die Sache verkomplizierte.
Ich verließ mich auf zwei Annahmen: dass die Leute sich sicher fühlten, wenn sie von teuren Alarmanlagen geschützt wurden, und dass das Haus einen typischen Grundriss aufwies – Empfangs- und Wohnräume vorne zur Garage hin gelegen, persönliche Räume und Schlafzimmer zur Rückseite hin. Julius’ Schlafzimmer musste das größte sein, der Thronsaal.
In diesem Teil des Hauses herrschte Totenstille.
Ich holte die Kamera heraus und schob sie in die Hemdentasche. Dann wickelte ich mir das Band der Stirnlampe um die linke Hand.
Ich reichte mit der Linken hinauf zur Klinke und öffnete vorsichtig die Tür, noch immer tief gebückt.
Ein unbeleuchteter Flur.
Ich schaltete die Lampe auf Rotlicht, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können.
Die Schlafzimmer mussten rechts von mir liegen. Ich schlich los und warf erst einen Blick nach links, wo ich Inkunzi und seine Leute vermutete.
Nichts.
Dann schaute ich nach rechts. Ein langer, dunkler Gang. Ich beleuchtete ihn rasch mit der Lampe. Links und rechts gingen Türen ab.
|263| Ich schlich weiter, wobei die MAG jede Bewegung einleitete, wie ich es vor zwanzig Jahren beim Sondereinsatzkommando gelernt hatte. Ganz hinten in dem breiten Flur befand sich die Tür, hinter der ich Inkunzis Schlafzimmer vermutete.
Sie war geschlossen.
Ein Geräusch hinter mir. Ich presste die Lampe gegen mein Hemd, um den Schein abzuschirmen, fuhr herum, ging in die Hocke und hob die MAG an die Schulter.
Eine Stimme, jemand erschien vorn im Flur, öffnete eine Tür, schaltete das Licht ein und verschwand. Ich rollte mich in die offene Tür, die mir am nächsten war. Ein großes Schlafzimmer. Massives Bett, viele Kissen. Ich lehnte mich gegen die Wand neben der Tür und lauschte.
Hörte, wie die Tür vorne im Flur wieder geschlossen wurde. Dann herrschte wieder Stille.
Vorsichtig spähte ich um den Türrahmen. Niemand zu sehen. Wollte der Mann nur etwas holen?
Ich wartete fünfzehn Sekunden, dann eilte ich den Flur entlang bis zu der geschlossenen Tür ganz am Ende. Legte die Hand auf die Klinke, drückte sie hinunter. Die Tür schwang auf.
Im Zimmer war es dunkel.
Ich schlüpfte hinein und schloss die Tür hinter mir.
Ein beeindruckender Raum. Nach Norden hin verglast, mit einer Schiebetür hinter einem zarten Gardinenschleier. Draußen funkelten Lichter in einem Swimmingpool. Vor dem Fenster standen ein Sofa, zwei Sessel und ein niedriger Tisch, an der östlichen Wand ein riesiges Bett mit hölzernem Kopfende. Ich beleuchtete es. In das Holz war ein losstürmender Bulle geschnitzt, ein unheimlicher Anblick im Rotlicht. Die südliche Wand bestand aus weißen Lamellentüren. Zwei in der Mitte standen offen und führten in ein Badezimmer, in dem ich vage Marmor und fleckenlosen Stahl erkannte. An der linken Wand hing ein großer Flachbildschirmfernseher mit Dolby-Surround-System.
|264| Ich eilte zu den Lamellentüren links des Badezimmers und öffnete sie. Ein begehbarer Schrank. Reihen von Kleidern, ordentlich aufgehängt, beeindruckend in ihrem Überfluss. Unten Schuhe, darüber Jacken, Hosen, Hemden, Krawatten, Gürtel.
An der hinteren Wand stand ein Waffenschrank. Davon würde ich ihn fernhalten müssen.
Ich ging durch die Lamellentür wieder hinaus und öffnete die Türen rechts daneben. Ein weiterer Einbauschrank. Hier und da hingen einzelne Frauenkleidungsstücke, aber der Schrank wurde offenbar nicht oft benutzt. Genau das, wonach ich suchte.
Ich schloss die Tür hinter mir, setzte mich in die Mitte des Raumes, zog die Kamera aus der Tasche, legte sie vor mich auf den dicken weißen Teppich, hielt die MAG im Arm und schaltete die Lampe aus.
Ich würde warten müssen, bis er hereinkam.
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Scheinangriffe, die vor allem bei alten, einzelgängerischen Bullen vorkommen, werden von ausgestellten Ohren und lautem Trompeten charakterisiert. Der Elefant bleibt in der Regel einige Meter vor dem Störenfried stehen und zieht sich dann zurück. Wegzulaufen könnte ein tödlicher Fehler sein. Wenn der Elefant zum Scheinangriff übergeht, bleibt man am besten stehen und wartet, bis er ebenfalls stehenbleibt. Dann zieht man sich langsam mit dem Wind zurück.
Die Kunst des Spurenlesens: Gefährliche Tiere
Ich wartete lange.
Um gut zwanzig nach zwölf hörte ich die Zimmertür
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