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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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hatte die Schritte gehört. Er hatte gehört, wie hinter ihm das Schloß des Luftgewehrs wieder einschnappte. Dennoch sah er nicht von seiner Lektüre auf und gab durch nichts zu erkennen, daß er sich Chiltons Anwesenheit bewußt war.
    Chilton hatte ihm die Zeitungen mittags zukommen lassen und ihn dann jedoch bis zum Abend warten lassen, um zu erfahren, wie er dafür bestraft werden sollte, daß er dem Drachen geholfen hatte. »Dr. Lecter«, sprach ihn Chilton schließlich an.
    Lecter drehte sich zu ihm herum. »Guten Abend, Dr. Chilton.« Von den drei Wärtern nahm er keinerlei Notiz. Sein Blick war unverwandt auf Chilton gerichtet.
    »Ich bin gekommen, Ihre Bücher abzuholen. Und zwar alle.«
    »Aha. Dürfte ich vielleicht erfahren, wie lange Sie sie zu behalten gedenken?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab.«
»Ist das Ihre persönliche Entscheidung?«
»Wie Sie wissen, befinde ich über die in dieser Anstalt verhängten Strafmaßnahmen.«
»Aber gewiß. So etwas ist ja schließlich auch nicht Will Grahams Stil.«
»Treten Sie an das Netz, und schlüpfen Sie hier rein, Dr. Lecter. Ich werde Sie darum nicht zweimal ersuchen.«
»Wie Sie wünschen, Dr. Chilton. Ich hoffe, es handelt sich dabei um eine mit Größe neununddreißig; die Siebenunddreißiger sind immer etwas knapp um die Brust.«
Dr. Lecter schlüpfte in die Zwangsjacke, als machte er sich für einen festlichen Abend fein. Ein Wärter griff durch das Gitter und verschloß die Zwangsjacke von hinten.
»Legen Sie ihn aufs Bett«, forderte Chilton die Wärter auf.
Während die Wärter sich dann der Bücher annahmen, putzte Chilton seine Brille, um schließlich mit einem Stift Lecters Aufzeichnungen zu überfliegen.
Lecter beobachtete ihn aus der dunklen Ecke seiner Zelle. Selbst in der Zwangsjacke haftete ihm eine eigenartige Eleganz an.
»Unter dem gelben Ordner«, sagte Lecter ruhig, »werden Sie einen ablehnenden Bescheid der Zeitschrift Archives finden. Der Brief geriet versehentlich unter meine Post von Archives, und ich habe ihn bedauerlicherweise geöffnet, ohne auf die Adresse zu achten. Tut mir leid.«
Chilton errötete. Er trug einem Wärter auf: »Nehmen Sie mal lieber die Klobrille von Dr. Lecters Toilette ab.«
Chilton sah sich die Versicherungstabelle an. An den oberen Rand hatte Lecter sein Alter geschrieben - einundvierzig. »Und was haben Sie hier?« fragte Chilton.
»Zeit«, antwortete Dr. Lecter.
    Sektionschef Brian Zeller brachte die Kurierlieferung und die Rollstuhlräder in die Abteilung für instrumentale Analyse; dabei legte er ein Tempo vor, das seine Gabardinehose zum Pfeifen brachte. Die Belegschaft - die Frühschicht war eigentlich längst um - kannte dieses pfeifende Geräusch nur zu gut: Zeller hatte es eilig.
    Es hatte genügend Verzögerungen gegeben. Der übermüdete Kurier, dessen Flug von Chicago erst wegen eines Unwetters Verspätung gehabt hatte und dann auch noch nach Philadelphia umgeleitet werden mußte, hatte sich dort einen Leihwagen genommen, um damit zum FBI-Labor in Washington zu fahren. Das Labor der Polizei von Chicago war zwar sehr gut, aber bestimmte Untersuchungen konnten sie dort nicht vornehmen, da sie nicht über die hierfür erforderlichen Apparaturen verfügten. Und genau das wollte Zeller nun nachholen.
    Beim Masse-Spektrometer lieferte er die Farbspuren von Lounds’ Wagentür ab.
Die Räder des Rollstuhls mußte sich Beverly Katz von der Abteilung für Haare und Fasern mit den anderen Spezialisten dieser Sektion teilen.
Zellers letzte Station war der enge, heiße Raum, in dem Liza Lake über ihren Gaschromatographen gebeugt stand. Sie untersuchte gerade Aschereste von einem Brandstiftungsfall in Florida und folgte gebannt dem zackigen Kurs der Nadel auf dem Millimeterpapier.
»Ace-Feuerzeugbenzin«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Damit hat er den Brand gelegt.« Sie kannte sich inzwischen so gut mit den speziellen Eigentümlichkeiten der einzelnen Sorten aus, daß sie nicht mehr in ihren Tabellen nachzusehen brauchte.
Zeller mußte seinen Blick von Liza Lake losreißen, um sich gleichzeitig strenge Selbstvorwürfe zu machen, weil er während der Arbeit erfreuliche Gefühle hatte aufkommen lassen. Er räusperte sich und hielt zwei Metalldosen hoch.
»Aus Chicago?« fragte Liza.
Zeller nickte.
Sie untersuchte den Zustand der Dosen und den Deckelverschluß. Eine Dose enthielt Aschenreste des Rollstuhls, die andere Verkohltes von Lounds.
»Wie lange waren die Proben in den Dosen?«
»Mindestens sechs

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