Roter Drache
kann - das alte Ding läßt sich nicht mal zusammenklappen. Und er ist sicher nicht mit dem Flugzeug angekommen, um dann einen Kombi mit den dazugehörigen Nummernschildern zu stehlen und sich dann noch nach einem alten Rollstuhl umzuschauen. Er muß so einen alten Rollstuhl bereits gehabt haben, und ein neuer hätte sich für das, was er vorhatte, nicht geeignet.« Graham war inzwischen aufgestanden und spielte an der Schnur für die Jalousie herum, während er auf die Brandmauer auf der anderen Seite des Lichtschachtes starrte. »Er muß den Rollstuhl bereits gehabt oder zumindest gewußt haben, wie er an ihn herankommen konnte.«
Osborne wollte eben eine Frage stellen, doch ein kurzer Blick von selten Crawfords gebot ihm Schweigen.
Graham machte mehrere Knoten in die Jalousienschnur. Seine Hände waren unruhig.
»Er hatte den Rollstuhl also schon...«. half ihm Crawford nach.
»Mhm«, nickte Graham nachdenklich. »Die Entstehung seines Plans muß in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Rollstuhl gestanden haben - mit seinem Anblick oder zumindest dem Wissen, daß er irgendwo herumstand. So muß ihm diese Idee gekommen sein, als er sich überlegt hat, wie er es diesen Schandmäulern heimzahlen sollte. Und es muß ja weiß Gott ein Anblick gewesen sein, als Freddy lichterloh brennend die Straße hinuntergerollt ist.«
»Glaubst du, er hat dieses Schauspiel beobachtet?«
»Anzunehmen. Mit Sicherheit spielte es sich vor seinem inneren Auge ab, als er sich überlegte, wie er sich am besten rächen sollte.«
Osborne beobachtete Crawford. Crawford war ein Mann, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand. An der Sache mußte also etwas sein, wenn ein Mann wie Crawford sich weiter auf so einen Gedanken einließ.
»Nachdem er also den Rollstuhl besessen und vielleicht sogar ständig vor Augen gehabt haben muß... vielleicht sollten wir sämtliche Alters- und Veteranenheime überprüfen lassen«, schlug Osborne vor.
»Das Ding bot die ideale Möglichkeit, Freddy zu totaler Bewegungsunfähigkeit zu verdammen«, fuhr Graham fort.
»Und das über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg«, gab Osborne zu bedenken. »Er war genau fünfzehn Stunden und fünfundzwanzig Minuten verschwunden.«
»Wenn er Freddy nur hätte kaltmachen wollen, hätte er das problemlos in der Garage erledigen können«, sagte Graham. »Er hätte ihn in seinem Wagen verbrennen können. Aber offensichtlich wollte er noch mit Freddy sprechen - oder ihn eine Weile quälen.«
»Entweder hat er das im Fond des Kombi gemacht, oder er hat ihn irgendwohin gebracht«, schaltete sich Crawford ein. »Der Länge der Zeit nach zu schließen, dürfte er ihn irgendwohin gebracht haben.«
»Und zwar an einen sicheren Ort. Falls er ihn gut eingepackt hat, hätte er sicherlich keinerlei Aufsehen erregt, wenn er ihn zum Beispiel in ein Altersheim gebracht hätte«, meinte Osborne.
»Das Problem ist nur, daß er dort keinerlei Lärm hätte machen dürfen«, gab Crawford zu bedenken. »Mal angenommen, er hatte den Rollstuhl, und er hatte Zugang zu einem Kombi, und ihm stand ein geschützter Ort zur Verfügung, wo er sich ihn hatte vornehmen können. Klingt das nicht- na ja, wie bei ihm zu Hause?«
Osbornes Telefon klingelte. Er knurrte barsch in den Hörer.
»Was?... Nein, ich will nicht mit dem Tattler sprechen... Na, dann will ich aber mal hoffen, Sie kommen mir nicht mit irgenwelchem Blödsinn... Captain Osborne, ja... Um wieviel Uhr? Wer hat den Anruf ursprünglich entgegengenommen - in der Zentrale? Entfernen Sie sie unverzüglich von dort. Und dann wiederholen Sie noch einmal, was er gesagt hat... Ich werde sofort einen meiner Leute hinschicken; er ist in fünf Minuten da.«
Osborne starrte eine Weile gedankenverloren auf das Telefon, nachdem er eingehängt hatte..»Vor fünf Minuten hat Lounds’ Sekretärin einen Anruf bekommen«, begann er schließlich. »Sie schwört, es wäre Lounds’ Stimme gewesen. Und er sagte etwas
- etwas, das sie nicht recht verstand. ›... die Kraft des großen roten Drachen‹. Irgend etwas in der Art, meint sie, hat er gesagt.«
24. K APITEL
D r. Frederick Chilton stand vor Hannibal Lecters Zelle auf dem Flur. Er wurde von drei kräftigen Wärtern begleitet. Einer von ihnen hatte eine Zwangsjacke und Beinfesseln bei sich. Der zweite war mit einer Gasspraydose bewaffnet, und der dritte lud ein Luftgewehr mit einem Betäubungspfeil.
Lecter saß an seinem Tisch. Er war in eine Versicherungstabelle vertieft und machte sich eifrig Notizen. Er
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