Roter Drache
Seine Schneide war sehr scharf, und sein Gewicht in seiner Hand strömte etwas Beruhigendes aus.
Er ging mit dem Beil in Großmutters Zimmer, um sich zu vergewissern, daß sich dort auch keine Einbrecher herumtrieben.
Großmutter schlief. Obwohl es in ihrem Zimmer sehr dunkel war, wußte er genau, wo sie lag. Wenn ein Einbrecher im Zimmer gewesen wäre, hätte er ihn genau so atmen hören können, wie er Großmutter atmen hörte. Er hätte genau gewußt, wo sich sein Hals befand - genauso, wie er wußte, wo sich Großmutters Hals befand. Er war genau unterhalb des Atmens.
Wenn ein Einbrecher im Zimmer gewesen wäre, hätte er sich genauso lautlos an ihn herangeschlichen. Er hätte das schwere Beil genauso mit beiden Händen über seinen Kopf gehoben.
Francis trat auf Großmutters Pantoffel neben dem Bett. Das Beil geriet in dem orientierungslosen Dunkel ins Schwanken und schlug metallisch gegen den Schirm von Großmutters Leselampe.
Großmutter drehte sich im Bett herum und gab ein schmatzendes Geräusch von sich. Francis erstarrte. Seine Arme zitterten von der Anstrengung, das Beil hochzuhalten. Großmutter begann zu schnarchen. Die Liebe, die Francis erfüllte, ließ ihn fast zerbersten.
Er schlich aus dem Zimmer. Er würde Großmutter beschützen; koste es, was es wolle. Er mußte etwas tun. Mittlerweile hatte er keine Angst mehr vor der Dunkelheit im Haus, aber sie schien ihm den Atem abzuschnüren.
Er trat durch die Hintertür ins Freie, wo er unter dem klaren Nachthimmel, das Gesicht in die Höhe gereckt, stehen blieb und in tiefen, keuchenden Zügen atmete, als könnte er das Licht in seine Lungen saugen. Die winzige Mondscheibe, die sich auf dem Weiß seiner verdrehten Augen verzerrte, nahm zusehends Kreisgestalt an, je mehr seine Augen wieder in ihre normale Position zurückwanderten, um sich schließlich mit dem Rund seiner Pupillen zu decken.
Die Liebe in ihm schnürte alles zusammen, und er konnte sie nicht loswerden. Er ging, seine Schritte beschleunigend, auf den Hühnerstall zu. Der Boden fühlte sich unter seinen bloßen Füßen kalt an. Kalt schlug auch das Beil gegen seine Beine, als er zu laufen begann, bevor er zerplatzte...
Noch nie hatte Francis solch alles erfüllenden, köstlichen Frieden verspürt, als er sich unter der Wasserpumpe auf dem Hühnerhof säuberte. Ganz behutsam tastete er sich in diesem Gefühl vor, bis er spürte, daß dieser Frieden endlos war und ihn gänzlich umschloß.
Was Großmutter gütigerweise nicht abgeschnitten hatte, war noch immer wie ein Preis vorhanden, als er sich das Blut von Bauch und Beinen wusch. Sein Verstand war vollkommen klar und ruhig.
Doch was das Nachthemd betraf, mußte er etwas unternehmen. Am besten versteckte er es unter den Säcken in der Räucherkammer.
Großmutter wußte nicht recht, was sie davon halten sollte, als sie das tote Huhn entdeckte. Nach dem Werk eines Fuchses sah das Ganze eigentlich nicht aus.
Einen Monat später fand Queen Mother wieder eines, als sie morgens die Eier einsammelte. Diesmal war dem Huhn der Kopf abgerissen.
Bei Tisch verkündete Großmutter daraufhin, sie wäre der Überzeugung, es handle sich dabei um das Werk ›einer rachsüchtigen Hausangestellten, der sie gekündigt hatte‹. Sie hätte von dem Vorfall den Sheriff in Kenntnis gesetzt.
Francis saß stumm auf seinem Stuhl. In Erinnerung eines Auges, das gegen seine Handfläche geblinzelt hatte, öffnete und schloß er dabei seine Hand. Wenn er im Bett lag, faßte er sich manchmal zwischen die Beine, um sich zu vergewissern, daß es nicht abgeschnitten worden war. Und manchmal, wenn er sich so zwischen die Beine faßte, glaubte er ein Blinzeln zu spüren.
In Großmutter vollzog sich eine sehr rasche Veränderung. Sie wurde zunehmend rechthaberischer, so daß es keine Hausangestellte mehr bei ihr aushielt. Obwohl es ihr vor allem an Haushälterinnen fehlte, kümmerte sie sich nun vorwiegend um die Küche, wo sie, sehr zum Nachteil für die Güte des Essens, Queen Mother Bailey in allem und jedem ihre Anweisungen zu erteilen begann. Queen Mother, die zeit ihres Lebens in den Diensten der Dolarhydes gestanden hatte, war die einzige Hausangestellte, die über einen längeren Zeitraum hinweg im Haus geblieben war.
Mit von der Hitze in der Küche rot angelaufenem Gesicht hastete Großmutter rastlos von einer Aufgabe zur nächsten, wobei sie nicht selten ein Gericht halbfertig stehen ließ, so daß es nicht aufgetragen werden konnte. Sie machte Aufläufe aus
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