Roter Drache
Kombi, aber hast du schon mal einen Kombi gesehen, der
mit einem Wollteppich ausgelegt war? Wie viele Wollteppiche
hast du schon in einer Mietwohnung gesehen? Sicher nicht gerade viele. Der Wollteppich deutet auf ein Haus hin, Will. Und
der Schmutz und der Schimmel stammen von einem dunklen
Ort, an dem der Rollstuhl abgestellt war. Ein Keller mit gestampftem Boden zum Beispiel.«
»Möglich.«
»Sieh dir das mal an.« Crawford zog einen Straßenatlas aus
seinem Aktenkoffer. In die Karte für Entfernungen und Fahrzeiten innerhalb der Vereinigten Staaten hatte er einen roten
Kreis eingezeichnet. »Freddy war etwas mehr als fünfzehn Stunden verschwunden, und seine Verletzungen wurden ihm
innerhalb dieses Zeitraums beigebracht. Daraus ziehe ich eine
Reihe von Rückschlüssen. Von solchen Annahmen gehe ich zwar
höchst ungern aus, aber angesichts... worüber lachst du?« »Ich mußte nur daran denken, wie du in Quantico diese
Außendienstpraktika abgehalten hast und dir ein Lehrgangsteilnehmer gesagt hat, er ginge mal von einer Annahme aus.« »Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls -« »Du hast ihn dann vor versammelter Mannschaft zusammengestaucht, Annahmen hätten in der polizeilichen
Ermittlungstätigkeit nichts zu suchen.«
»Mag ja sein, aber jetzt hör mir doch endlich mal zu. Gehen
wir mal davon aus, er hatte es mit dem üblichen Verkehr von
Chicago zu tun, als er mit Lounds aus der Stadt fuhr. Dann
müssen wir noch ein paar Stunden berücksichtigen, während
deren er sich an besagtem abgeschiedenen Ort mit Lounds beschäftigt hat, und schließlich die Zeit, um wieder in die Stadt
zurückzufahren. Er kann sich also kaum mehr als sechs Stunden Fahrtzeit von Chicago entfernt haben. Das Gebiet innerhalb
des Kreises, den ich auf der Karte eingezeichnet habe, wäre also
in maximal sechs Stunden Fahrtzeit zu erreichen. Da man auf
einigen Straßen rascher vorankommt als auf anderen, ist das in
Frage kommende Gebiet eher von einer Wellenlinie umrissen.« »Vielleicht ist er einfach hier geblieben.«
»Mag sein, aber zumindest könnte er sich auf keinen Fall
weiter von Chicago entfernt haben.«
»Demnach hast du das in Frage kommende Gebiet also auf Chicago eingegrenzt, beziehungsweise auf eine Fläche, die unter anderem auch Milwaukee, Madison, Dubuque, Peoria, St. Louis, Indianapolis, Cincinnati, Toledo und Detroit einschließt,
um nur mal ein paar Städte zu nennen.«
»Wir wissen sogar mehr als das, da er sich sehr früh einen
Tattler besorgt haben muß. Vermutlich schon Montagabend.« »Das hätte er doch in Chicago tun können.«
»Ich weiß, aber sobald man mal Chicago aus dem Spiel läßt,
gibt es nicht mehr allzu viele Orte, an denen man schon am
Montagabend den Tattler bekommt. Das hier ist eine Liste der
Vertriebsabteilung des Tattler - sie enthält all die Stellen innerhalb des Kreises, an die der Tattler per Auslieferungsfahrzeug
oder Flugzeug schon am Montagabend verschickt wird. Demnach blieben nur noch Milwaukee, St. Louis, Cincinnati,
Indianapolis und Detroit übrig. Dabei handelt es sich um etwa
neunzig Flughafenbuchhandlungen und sonstige Zeitungsstände, die rund um die Uhr geöffnet haben, nicht eingerechnet die
in Chicago. Ich lasse sie durch unsere Außendienststellen überprüfen. Vielleicht kann sich ja ein Zeitungsverkäufer an einen
seltsamen Kunden am Montagabend erinnern.«
»Vielleicht. Jedenfalls kein schlechter Schachzug, Jack.« Ganz eindeutig war Graham jedoch in Gedanken ganz woanders.
Wäre Graham ein gewöhnlicher Ermittlungsbeamter gewesen, hätte ihm Crawford mit Sicherheit mit einer Lebensstellung
auf den Aleuten gedroht. Statt dessen sagte er jedoch: »Mein
Bruder hat heute nachmittag angerufen. Molly ist ausgezogen.« »Ich weiß.«
»Sie hat wohl einen sicheren Ort gefunden?«
Für Graham stand außer Zweifel, daß Crawford bestens informiert war, wohin Molly geflogen war. »Sie ist zu Willys
Großeltern.«
»Die werden sich bestimmt freuen, den Jungen wieder mal
zu sehen.« Crawford ließ sich Zeit.
Graham enthielt sich jedes weiteren Kommentars. »Es ist doch hoffentlich nichts?«
»Siehst du denn nicht, daß ich arbeite, Jack. Nein, es ist alles
in Ordnung. Sie ist dort draußen nur allmählich etwas nervös
geworden.«
Graham zog ein mit Schnur umwickeltes Päckchen unter einem Stapel Begräbnisfotos hervor und machte sich an der
Verschnürung zu schaffen.
»Was ist das?«
»Das ist von Byron Metcalf, dem Anwalt der Jacobis. Brian
Zeller hat es an mich
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