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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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versuchten. Von dieser Sorte hatte sie schon einige kennengelernt, zumal sie solche Menschen aufgrund ihrer Behinderung geradezu anzog. Doch sah sie in ihnen völlig zu recht den Feind.
Was speziell Männerbekanntschaften betraf, wußte Reba durchaus, daß viele Männer sie attraktiv fanden - weiß Gott genug von ihnen hatten sie verstohlen mit dem Handrücken abzutatschen versucht, wenn sie sie am Oberarm gepackt hatten.
Reba mochte Sex sehr gern, aber schon vor Jahren hatte sie etwas sehr Grundlegendes über Männer lernen müssen: Die meisten von ihnen hatten schreckliche Angst, sich etwas aufzubürden - eine Angst, die in ihrem Fall noch verstärkt in Erscheinung trat.
Sie hatte keine Lust auf einen Mann, der sich in ihr Bett stahl und danach wieder davonschlich wie ein Hühnerdieb.
An diesem Abend wollte Ralph Mandy sie abholen, um mit ihr auszugehen. Er betete immer eine besonders hasenfüßige Leier herunter, wie schwer er vom Leben gezeichnet und deshalb unfähig zur Liebe wäre. Der übervorsichtige Ralph erzählte ihr das eine Spur zu oft, als daß sie nicht auf der Hut gewesen wäre. Ralph war zwar durchaus amüsant, aber an einer festen Beziehung mit ihm war sie nicht interessiert.
Doch wollte sie Ralph jetzt nicht sehen. Ihr war nicht danach, sich mit ihm zu unterhalten und zwischendurch immer wieder die Bemerkungen aufzuschnappen, welche die Leute an den Tischen um sie herum fallen ließen.
Es wäre einfach wundervoll gewesen, von jemandem begehrt zu werden, der den Mut hatte, seinen Hut zu nehmen oder zu bleiben, je nachdem wie ihm gerade zumute war, und der ihr das gleiche zugestand. Jemand, der sich nicht ständig Sorgen um sie machte.
Francis Dolarhyde - scheu und zurückhaltend, mit der Statur eines Footballprofis und sehr direkt. Sie hatte noch nie eine Hasenscharte gesehen oder berührt und verband keine visuellen Assoziationen mit diesem Wort. Sie fragte sich, ob Dolarhyde wohl dachte, sie könnte ihn deshalb problemlos verstehen, weil ›Blinde so viel besser hören, als wir dazu imstande sind‹. Das war ein weit verbreiteter Irrglaube. Vielleicht hätte sie ihm erklären sollen, daß das nicht stimmte und daß Blinde lediglich mehr darauf achteten, was sie hörten.
Überhaupt waren so viele irrige Auffassungen über Blinde in Umlauf. Sie fragte sich, ob auch Dolarhyde der gängigen Auffassung war, daß Blinde ›geistig minderbemittelter‹ waren als die meisten ihrer Mitmenschen und durch ihre Behinderung gleichzeitig aber auch in gewisser Weise bessere Menschen. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Auch letzteres entsprach nicht den Tatsachen.

32. K APITEL

    D ie Polizei von Chicago betrieb ihre Ermittlungen unter enormem Druck von seiten der Medien; in den Abendnachrichten wurde ein regelrechter ›Countdown‹ bis zum nächsten Vollmond veranstaltet. Bis dahin waren es noch elf Tage.
    Die Familien von Chicago lebten in ständig wachsender Angst. Gleichzeitig erfreuten sich die Horrorfilme in den Autokinos, die sonst spätestens nach einer Woche wieder vom Programm abgesetzt worden wären, regen Zulaufs. Die Faszination des Grauens. Der gerissene Unternehmer, der vor kurzem ›Zahnschwuchtel‹-T-Shirts auf den Markt geworfen hatte, brachte nun solche mit dem Aufdruck ›Der rote Drache ist gerade gut für eine Nacht‹ heraus. Beide Versionen fanden etwa gleich starken Absatz.
Jack Crawford mußte nach Lounds’ Begräbnis mit anderen
    hohen Polizeibeamten an einer Pressekonferenz teilnehmen. Er hatte von höchster Stelle Order erhalten, die Beteiligung des FBI deutlicher sichtbar zu machen; er machte sie jedoch nicht deutlicher hörbar, da er nämlich nichts sagte. Wenn mit starkem personellem Aufwand betriebene Ermittlungen wenige Anhaltspunkte vorliegen haben, anhand deren sich die Beamten orientieren können, neigen sie notgedrungen dazu, sich selbst auf die Füße zu treten, indem sie immer und immer wieder dasselbe Areal abgrasen, bis schließlich auch die letzten Spuren verwischt sind. Sie nehmen dann die Gestalt einer Null ein oder einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt.
    Wohin Graham sich auch wendete, überall stieß er auf Kriminalbeamte, Kameras, hektisch durcheinanderströmende uniformierte Polizisten und das unaufhörliche Knacken und Rauschen von Funkgeräten. Er brauchte dringend Ruhe.
    Crawford, noch etwas zerknittert von der Pressekonferenz, fand Graham bei Einbruch der Dämmerung in der Stille eines unbenutzten Geschworenenraums in der Etage

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