Roter Drache
war nicht besetzt. Er drückte auf den Klingelknopf. Keine Reaktion.
Vielleicht hatte sie ihm in seinem Büro eine Nachricht hinterlassen.
Er hörte Schritte auf dem Gang.
Dandridge, einer der Abteilungsleiter von Baeder, eilte, ohne aufzusehen, mit einem dicken Bündel von Personalakten unter dem Arm durch den Dunkelkammertrakt.
Dolarhydes Stirn legte sich in Falten. Dandridge hatte bereits halb den Parkplatz hinter Baeder überquert und strebte auf das Gateway-Gebäude zu, als Dolarhyde hinter ihm durch die Tür ins Freie trat.
Auf dem Parkplatz standen zwei Lieferwagen und ein halbes Dutzend Pkws. Dieser Buick gehörte doch Fisk, dem Personalchef von Gateway. Was machten die denn um diese Zeit noch hier?
Bei Gateway hatten sie doch keine Nachtschicht. Der größte Teil des Gebäudes lag im Dunkeln.
Dolarhyde orientierte sich lediglich mit Hilfe der roten Notausganganzeigen, als er zu seinem Büro ging. Hinter der Milchglasscheibe der Tür zur Personalabteilung brannte Licht. Dolarhyde konnte auch Stimmen hören; er erkannte die von Dandridge und Fisk.
Plötzlich nahten die Schritte einer Frau. Fisks Sekretärin bog vor Dolarhyde um die Ecke in den Gang. Sie hatte sich ein Tuch um ihre Lockenwickler gebunden und trug mehrere Ordner aus der Buchhaltung in den Armen. Sie hatte es eilig. Da sie beide Hände für den schweren Stapel Ordner benötigte, stieß sie mit der Zehenspitze gegen die Tür von Fisks Büro.
Will Graham öffnete ihr.
Dolarhyde blieb wie angewurzelt in dem dunklen Flur stehen. Seine Pistole war im Kombi.
Die Tür zur Personalabteilung schloß sich wieder.
Dolarhyde rannte los; seine Laufschuhe machten auf dem glatten Boden fast kein Geräusch. Am Ausgang drückte er sein Gesicht dicht an die Glasscheibe und spähte auf den Parkplatz hinaus. Er nahm unter der Flutlichtbeleuchtung eine Bewegung wahr. Ein Mann. Er machte sich im Schein einer Taschenlampe am Rückspiegel eines der Lieferwagen zu schaffen. Er untersuchte ihn nach Fingerabdrücken.
Plötzlich hörte Dolarhyde irgendwo hinter sich Schritte auf einem der Korridore des Gebäudes. Schnell weg von der Tür. Er hastete die Kellertreppe hinunter in den Heizraum im hinteren Teil des Gebäudes. Wenn er auf eine Werkbank kletterte, konnte er sich durch die hohen Fenster, die sich auf Bodenniveau befanden und hinter ein paar Büschen verborgen waren, ins Freie zwängen. Er schwang sich über den unteren Fensterrand und landete auf allen vieren auf der Erde hinter den Sträuchern.
Auf dieser Seite des Gebäudes war alles still. Er richtete sich auf und schlenderte mit einer Hand in der Hosentasche gelassen über die Straße. Er lief, wenn der Gehsteig im Dunkeln lag, und ging, wenn ein Wagen vorüberfuhr, und schlug so einen weiten Bogen um Gateway und Baeder Chemical.
Sein Kombi stand hinter Baeder am Straßenrand. In seiner unmittelbaren Umgebung gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken.
Also gut. Er sprintete über die Straße und sprang ins Führerhaus, wo er sofort nach seinem Koffer griff.
Aus dem vollen Magazin ließ er eine Patrone in die Kammer schnalzen und legte die Pistole unter einem T-Shirt aufs Armaturenbrett.
Dann fuhr er langsam los - bloß nicht an der roten Ampel zum Stehen kommen -, bog vorsichtig um die Ecke und ordnete sich in den spärlichen Verkehr ein.
Er mußte nun jeden Schritt sorgfältig überlegen. Doch es fiel ihm unsäglich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.
Die Filme. Graham mußte irgendwie von den Filmen wissen. Graham wußte, wo er zu suchen hatte. Aber er wußte noch nicht, wen. Wenn er das gewußt hätte, hätte er sich nicht die Akten der Personalabteilung zeigen lassen müssen. Doch wozu auch noch die Unterlagen aus der Buchhaltung? Wegen der Urlaubstage. Wer hatte an den Tagen, als der Drache zuschlug, Urlaub genommen. Aber halt, das waren immer Samstage gewesen, wenn man von Lounds absah. Er würde also nachsehen, wer jeweils vor diesen Samstagen Urlaub genommen hatte. Wenn er sich davon nur mal nicht zuviel versprach; die Hauptbuchhaltung war keineswegs über die einzelnen Urlaubstage im Bilde, die sich Angestellte nahmen. Während Dolarhyde langsam den Lindberg Boulevard hinunterfuhr, zählte er mit seiner freien Hand, während er in Gedanken die einzelnen Punkte abhakte.
Sie suchten nach Fingerabdrücken. Allerdings hatte er nirgendwo Fingerabdrücke hinterlassen - mit Ausnahme vielleicht des Plastikabzeichens im Brooklyn Museum. Allerdings hatte er auch dabei darauf geachtet, es
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