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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Fensterplatz mit niemandem neben sich.
    Er lehnte den labbrigen Sandwich, den ihm die Stewardeß anbot, ab und breitete statt dessen die Jacobi-Akte auf dem Klapptisch aus. Auf einem Blatt hatte er die Übereinstimmungen zwischen den Familien Jacobi und Leeds aufgeführt.
    Beide Paare waren Ende dreißig, beide hatten Kinder - zwei Jungen und ein Mädchen. Edward Jacobi hatte noch einen weiteren Sohn aus erster Ehe, der jedoch im College war, als die Familie ermordet wurde.
    In jedem Fall hatten beide Elternteile einen College-Abschluß, und beide Familien wohnten in ruhigen Wohngegenden in zweistöckigen Häusern. Mrs. Jacobi und Mrs. Leeds waren attraktive Frauen. Die Familien hatten zum Teil bei denselben Instituten Kreditkarten und dieselben Zeitschriften abonniert. Hier hörten die Ähnlichkeiten allerdings auch schon auf. Charles Leeds war Steuerberater, während Edward Jacobi Ingenieur und Metallurg war. Die Familie aus Atlanta waren Presbyterianer, die Jacobis Katholiken. Die Leeds’ hatten zeit ihres Lebens in Atlanta gewohnt, während die Jacobis erst drei Monate zuvor von Detroit nach Birmingham gezogen waren.
    Das Wort ›willkürlich‹ hallte wie ein tropfender Wasserhahn in Grahams Kopf wider. › Willkürliche Auswahl der Opfer‹, ›kein erkennbares Motiv‹ - Zeitungsberichte bedienten sich solcher Redewendungen, und Kriminalbeamte stießen sie voller Wut und Frustration zwischen den Zähnen hervor.
    ›Willkürlich‹ wurde der Sache jedoch nicht gerecht. Graham wußte, daß Massen- und Serienmörder ihre Opfer keineswegs willkürlich aussuchten.
    Der Mann, der die Familien Jacobi und Leeds ausgelöscht hatte, hatte irgend etwas an ihnen anziehend gefunden, wodurch er zu der Tat getrieben worden war. Er könnte sie zum Beispiel sehr gut gekannt haben - was Graham hoffte -, oder aber er hatte sie überhaupt nicht gekannt. Allerdings war sich Graham sicher, daß der Mörder sie zu Gesicht bekommen haben mußte, bevor er sich entschlossen hatte, sie zu ermorden. Er hatte sie ausgesucht, weil irgend etwas an ihnen ihn angesprochen hatte, wobei das Hauptgewicht dieser Anziehung aller Wahrscheinlichkeit nach bei den Frauen zu suchen war. Doch was war dieses gewisse Etwas, das diesen Familien zum Verhängnis geworden war?
    Die zwei Verbrechen wiesen gewisse Unterschiede auf. Edward Jacobi wurde zum Beispiel erschossen, als er mit einer Taschenlampe die Treppe herunterkam, nachdem er vermutlich durch ein Geräusch im Haus geweckt worden war.
Mrs. Jacobi und ihre Kinder waren durch Kopfschüsse getötet worden, während Mrs. Leeds an den Folgen eines Bauchschusses gestorben war. Sämtliche Schüsse waren aus einer Neun-Millimeter-Automatik abgegeben worden. In den Einschußwunden wurden Spuren von Stahlwolle gefunden, die von einem selbstgebauten Schalldämpfer herrührten. Die Patronenhülsen wiesen keine Fingerabdrücke auf. Das Messer war nur an Charles Leeds zum Einsatz gekommen. Dr. Princi vertrat die Anschauung, daß es eine extrem dünne und scharfe Klinge hatte.
In beiden Fällen hatte sich der Täter auch auf unterschiedliche Weise Zutritt zum Haus verschafft. Bei den Jacobis hatte er eine Gartentür aufgestemmt; bei den Leeds hatte er auf einen Glasschneider zurückgegriffen.
Auf den Fotos aus Birmingham war nicht so viel Blut wie im Fall der Leeds’ zu sehen, wenn auch dort die Blutflecken an den Schlafzimmerwänden in einem knappen Meter Höhe nicht fehlten. Demnach hatte der Mörder auch in Birmingham ein Publikum gehabt. Die Polizei von Birmingham hatte die Leichen, einschließlich der Fingernägel, nach Fingerabdrücken abgesucht, ohne jedoch solche zu entdecken. Da die Leichen in Birmingham bereits einen heißen Sommermonat lang begraben waren, würde sich nachträglich ein Fingerabdruck, wie im Fall des einen Leeds-Jungen, nicht mehr feststellen lassen. In beiden Fällen hatte die Polizei dieselben blonden Haare, denselben Speichel, dasselbe Sperma festgestellt.
Graham lehnte Fotos der zwei lächelnden Familien gegen die Rückseite des Vordersitzes und starrte sie in der leise summenden Stille des Flugzeugs lange eindringlich an.
Was konnte den Mörder ausgerechnet zu ihnen hingezogen haben? Graham war fest entschlossen, an das Vorhandensein eines gemeinsamen Faktors zu glauben - und daß er bald auf ihn stoßen würde.
Ansonsten würde er sich noch in einer ganzen Reihe von Häusern die grausige Hinterlassenschaft der Zahnschwuchtel ansehen müssen. Graham hatte sich die entsprechenden

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