Roter Drache
aber ich könnte Sie vorher in die Bank bringen, damit Sie sich die Sachen ansehen können, und hole Sie nachher wieder ab.«
»Gut«, nickte Graham. »Und noch eine Bitte hätte ich. Könnten Sie mir Kopien von allem besorgen, was mit dem Nachlaß zu tun hat? Hypotheken, Anfechtungen des Testaments, Korrespondenz zu diesem Thema. Ich hätte gern in alle Dokumente zu diesem Thema Einsicht.«
»Darum hat mich bereits die Staatsanwaltschaft von Atlanta gebeten. Sie wollen die Sache mit der Hinterlassenschaft der Leeds’ in Atlanta vergleichen, soviel ich weiß.«
»Trotzdem hätte ich gern auch selbst die Kopien dieser Unterlagen«, beharrte Graham.
»Natürlich, wenn Sie meinen. Aber Sie glauben doch nicht wirklich, daß bei der Sache Geld eine Rolle gespielt hat?«
»Nein. Ich hoffe nur, daß irgendwo ein Name auftaucht,der sowohl in Birmingham wie in Atlanta eine Rolle gespielt hat.«
»Das allerdings.«
Das Internat des Bardwell Community College bestand aus vier kleinen Gebäuden, die um ein von Abfall übersätes Rechteck aus gestampfter Erde angeordnet waren. Als Graham dort eintraf, war gerade ein erbitterter Wettstreit zwischen zwei Stereoanlagen in Gang.
Auf zwei gegenüberliegenden Balkonen waren jeweils riesige Lautsprecherboxen aufgestellt, um Kiss gegen die 1812 Overture antreten zu lassen. Ein mit Wasser gefüllter Ballon segelte durch die Luft und zerplatzte keine drei Meter von Graham entfernt auf dem Boden.
Er duckte sich unter einer Wäscheleine hindurch, stieg über ein Fahrrad und betrat den Aufenthaltsraum der Gruppe von Niles Jacobi. Die Tür zu Jacobis Schlafzimmer war angelehnt, und durch den schmalen Spalt drang laute Musik. Graham klopfte.
Keine Antwort.
Er drückte die Tür auf. Ein großer Junge mit einem fleckigen Gesicht hockte auf einem von zwei Einzelbetten und nuckelte an einer gut einen Meter langen Friedenspfeife. Auf dem anderen Bett lag ein Mädchen in Latzhosen.
Der Kopf des Jungen zuckte zu Graham herum und sah ihn verdutzt an.
»Ich suche Niles Jacobi.«
Der Junge schien wie betäubt. Graham schaltete die Stereoanlage aus.
»Ich suche Niles Jacobi.«
»Das ist nur für mein Asthma; ich muß das Zeug inhalieren. Können Sie eigentlich nicht klopfen?«
»Wo ist Niles Jacobi?«
»Woher soll ich das wissen. Was wollen Sie überhaupt von ihm?«
Graham zückte seine Dienstmarke. »Und jetzt strengt mal euer Gedächtnis ein bißchen an.«
»Scheiße, das hat uns gerade noch gefehlt«, stöhnte das Mädchen.
»So was Blödes, die Drogenfahndung.« Und wieder an Graham gewandt. »Hören Sie, Mann, das ist doch die Sache nicht wert. Könnten wir da nicht mal in Ruhe drüber reden?«
»Gut, dann unterhalten wir uns mal darüber, wo Jacobi steckt.«
»Ich schau mal, ob ich ihn irgendwo finden kann«, erbot sich das Mädchen.
Graham wartete, während sie in den anderen Zimmern nach ihm fragte. Die Stationen ihrer Suche wurden von einem wiederholten Rauschen verschiedener Toilettenspülungen angezeigt.
Weniges in dem Raum deutete auf Niles Jacobi hin - auf einer Kommode lag ein Foto der Familie Jacobi. Das war auch schon alles. Graham nahm ein Glas mit schmelzendem Eis davon herunter und wischte den Feuchtigkeitsrand, den es darauf hinterlassen hatte, mit dem Ärmel ab.
Das Mädchen kehrte zurück. »Versuchen Sie’s doch im Hateful Snake«, schlug sie vor.
Das Hateful Snake war eine Bar in einem ehemaligen Laden, dessen Schaufenster grün übermalt waren. Die Fahrzeuge, die davor geparkt waren, stellten eine eigenartige Mischung dar aus riesigen Sattelschleppern ohne Anhänger, Kombis, einem lila Cabrio, alten Dodges und Chevrolets mit mächtigaufgebocktem hinterem Fahrgestell, das sie wie Dragster aussehen ließ, und vier stattlichen Harley-Davidsons. Aus der Klimaanlage, die direkt über der Eingangstür angebracht war, tropfte es beharrlich auf den Gehsteig.
Graham wich dem Getröpfle aus und trat ein.
Das Lokal war gerammelt voll und roch nach Desinfektionsmittel und schalem Bier. Die Barkeeperin, eine kräftige Frau in einem Overall, reichte Graham sein Coke über mehrere Kopfe hinweg. Sie war die einzige Frau in dem ganzen Laden.
Niles Jacobi, dunkel und bleistiftdünn, stand an der Musikbox. Zwar steckte er Geld in den Schlitz, aber auf die Knöpfe drückte der Kerl neben ihm.
Jacobi sah aus wie ein aufmüpfiger Schuljunge, was jedoch auf seinen Begleiter, der die Stücke aussuchte, nicht zutraf.
Jacobis Kumpel war eine eigenartige Mischung; auf einem sehnigen, muskulösen
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