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Roter Drache

Roter Drache

Titel: Roter Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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zerfließen
das sind nämlich die üblichen Reaktionen im Besuchsraum. Aber
er hat mich nur gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, noch mal
auf die Schule zu gehen. Er meinte, er würde für mich bürgen,
falls ich wieder zur Schule ginge. Er wollte es auf einen Versuch
ankommen lassen. ›Ein bißchen mußt du dir auch selbst helfen.
Versuch’s zumindest mal. Ich werde dann dafür sorgen, daß du
wieder auf die Schule kannst.‹ So in dem Stil hat er eine Weile
geredet.«
»Wie lange hat es dann gedauert, bis sie entlassen wurden?« »Zwei Wochen.«
»Niles, haben Sie mit anderen Häftlingen je über Ihre Familie gesprochen, als Sie in Chino waren? Zu ihrem
Zellennachbarn oder sonst jemandem?«
Niles Jacobi warf Graham einen kurzen Blick zu. »Ach so,
jetzt verstehe ich. Nein. Jedenfalls nicht über meinen Vater. Ich
hatte doch schon Jahre nicht mehr an ihn gedacht, geschweige
denn ihn gesehen. Wieso hätte ich also über ihn reden sollen?« »Und wie steht es mit hier? Haben Sie mal einen Ihrer Freunde mit nach Hause zu Ihren Eltern genommen?«
»Was heißt hier Eltern? Er war zwar mein Vater, aber sie nicht
meine Mutter.«
»Haben Sie je jemanden mit dorthin genommen? Schulkameraden oder... «
»Oder zwielichtige Gestalten, Inspektor Graham?« »Ganz recht.«
»Nein.«
»Kein einziges Mal?«
»Nie.«
»Hat Ihr Vater je von einer Drohung oder etwas Ähnlichem
gesprochen; war er während der Monate, bevor es passiert ist,
wegen irgend etwas besorgt?«
»Das letzte Mal, als ich mit ihm gesprochen habe, war er ziemlich in Sorge - allerdings nur wegen meiner schulischen
Leistungen. Ich hatte ziemlich oft den Unterricht geschwänzt.
Er hat mir deswegen zwei Wecker geschenkt. Aber sonst könnte ich nicht sagen, ob er sich wegen irgendwas Sorgen gemacht
hat.«
»Haben Sie irgendwelche persönlichen Dinge von ihm - Briefe, Fotos, oder sonst etwas?«
»Nein.«
»Sie haben ein Foto der Familie. Es liegt in Ihrem Zimmer
auf der Kommode. Neben dieser Friedenspfeife.«
»Die gehört nicht mir. Ich würde dieses Drecksding nie in
den Mund nehmen.«
»Ich brauche das Foto. Ich lasse eine Kopie davon anfertigen
und schicke es Ihnen wieder zurück. Was haben Sie sonst noch?« Jacobi schüttelte eine Zigarette aus seiner Packung und tastete seine Taschen nach Streichhölzern ab. »Sonst habe ich nichts.
Ich weiß auch nicht, warum sie mir ausgerechnet dieses Foto
gegeben haben. Mein Vater, wie er Mrs. Jacobi anlächelt und
diese drei kleinen Pimpfe. Das können Sie ruhig haben. Mich hat er jedenfalls nie so angesehen.«
    Graham mußte mehr über die Jacobis wissen. Ihre neuen Bekannten in Birmingham konnten ihm dabei jedoch wenig weiterhelfen.
    Byron Metcalf zeigte ihm den Inhalt der Schließfächer. Graham las den dünnen Stapel Briefe, meistens geschäftlicher Natur, und sah sich den Schmuck und das Tafelsilber an.
    Drei drückend heiße Tage lang war er in dem Lagerhaus beschäftigt, in dem der Besitz der Jacobis untergebracht war. Abends nach Büroschluß wurde Graham dabei von Metcalf unterstützt. Jede Kiste auf jeder Palette wurde geöffnet und ihr Inhalt untersucht. Anhand von Polizeifotos konnte Graham rekonstruieren, welchen Platz die einzelnen Gegenstände im Haus eingenommen hatten.
    Die meisten Möbel waren neu, gekauft mit der Versicherungssumme von dem Brand in Detroit. Die Jacobis hatten kaum Zeit gehabt, ihre Spuren auf ihrem Hab und Gut zu hinterlassen.
    Ein Gegenstand, ein Nachttisch, der noch Spuren von Fingerabdruckpulver aufwies, zog Grahams Aufmerksamkeit auf sich. In der Mitte der Deckplatte befand sich ein grüner Wachstropfen.
    Zum zweiten Mal stellte er sich die Frage, ob der Killer eine Schwäche für Kerzenlicht hatte.

    Das in die Birminghamer Spurensicherung gesetzte Vertrauen war gerechtfertigt gewesen.
    Ebenso wie Jimmy Price in Washington konnte auch sie auf der Limonadendose aus der Astgabel des Baums hinter dem Jacobi-Haus den verwischten Abdruck einer Nasenspitze bergen.
    Inzwischen war auch der Bericht des Ballistik-Labors des FBI über den abgeschnittenen Zweig eingetroffen. Das hierfür verwendete Instrument hatte über zwei dicke, leicht abgeflachte Schneideflächen verfügt; demnach hatte es sich dabei also um einen Bolzenschneider gehandelt. Die Dokumentenabteilung hatte das in die Rinde geritzte Zeichen an das Institut für Ostasiatische Studien in Langley weitergeleitet.
    Graham hatte sich auf eine Umzugskiste niedergelassen, um den langen Bericht zu studieren. Laut Angaben des

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