Roter Drache
könnten ihn nachher nicht mehr waschen. Tut mir leid, Jack, aber in diesem Fall kann ich nicht mit einem Fingerabdruck dienen. Das ist einfach unmöglich.«
»Scheiße«, entfuhr es Crawford.
Als Price sich abwandte, legte Crawford ihm seine Hände auf die knochige Schulter. »Was soll’s, Jimmy; wenn auf dem verdammten Ding einer drauf gewesen wäre, hättest du ihn gefunden.«
Price gab ihm keine Antwort. Er packte ein Paar Handabdrücke aus, die in einer anderen Sache eingeschickt worden waren. Trockeneis dampfte aus seinem Abfalleimer. Crawford ließ die weißen Handschuhe in den Dampf plumpsen.
Mit vor Enttäuschung knurrendem Magen eilte Crawford in die Dokumentenabteilung, wo Lloyd Bowman auf ihn wartete. Bowman war aus einer Gerichtsverhandlung gerufen worden, und die abrupte Unterbrechung seiner Konzentration ließ ihn blinzeln wie einen Mann, der eben erst aus tiefem Schlaf gerissen worden war.
»Gratuliere zu Ihrer neuen Frisur«, begrüßte ihn Bowman, während er den Brief bereits behutsam, aber flink auf seiner Arbeitsunterlage ausbreitete. »Wie lange habe ich Zeit?«
»Höchstens zwanzig Minuten.«
Die zwei Briefabschnitte schienen unter Bowmans Lampen zu leuchten zu beginnen. Durch ein zackiges, längliches Loch im oberen Teil kam das Dunkelgrün der Arbeitsplatte zum Vorschein.
»Die Hauptsache - der entscheidende Punkt ist, wie Lecter antworten sollte«, erklärte Crawford, als Bowman zu lesen aufgehört hatte.
»Die Anweisungen, wie er antworten sollte, waren vermutlich in dem herausgerissenen Teil enthalten.« Bowman war beim Sprechen voll konzentriert mit seinen Scheinwerfern, Filtern und Kopierkameras beschäftigt. »Hier, im oberen Teil, schreibt er: ›Ich hoffe, wir können miteinander.. .‹ Und dann fehlt ein Stück. Lecter hat das Ganze mit Filzstift durchgestrichen, an den Rändern umgeknickt und dann herausgerissen.«
»Er hat in seiner Zelle keine Schere oder etwas Ähnliches. «
Bowman fotografierte die Zahnabdrücke und die Rückseite des Briefs unter extrem schräg einfallendem Licht, so daß sein Schatten von einer Wand zur anderen zuckte, als er den Scheinwerfer einmal dreihundertsechzig Grad um das Stück Papier herumschwenkte: Seine Hände vollführten dabei in der Luft groteske Faltbewegungen.
»So, und jetzt werden wir dich ein bißchen zusammenquetschen.« Damit plazierte Bowman den Brief zwischen zwei Glasplatten, um die zackigen Ränder des Lochs plattzudrücken. Die Ränder waren mit roter Tinte verschmiert. Ganz leise sang er etwas vor sich hin. Erst beim dritten Mal verstand Crawford schließlich, was er sagte. »Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht rausbekämen.«
Bowman klappte verschiedene Filter vor seine kleine Videokamera und stellte sie auf den Brief scharf.
Dann verdunkelte er den Raum, bis nur noch das matte rote Glimmen einer Lampe und das bläulich grüne Flackern des Bildschirms zu sehen waren.
Die Worte ›Ich hoffe, wir können miteinander und das zackige Loch erschienen stark vergrößert auf dem Bildschirm. Von der roten Tusche war plötzlich nichts mehr zu sehen; statt dessen wurden an den Rändern Buchstabenfragmente sichtbar.
»Anilinfarben in Bunttuschen werden bei Infrarotbeleuchtung transparent«, erläuterte Bowman dazu. »Hier und hier könnte es sich um die Spitzen von zwei Ts handeln. Und das hier könnte der Rest eines M oder N - oder auch eines R sein.« Bowman fotografierte den Bildschirm und knipste wieder das Licht an. »Jack, es gibt nur zwei Möglichkeiten für Lecter, mit diesem Burschen Kontakt aufzunehmen - per Telefon oder über eine Zeitungsannonce. Wäre Lecter telefonisch rasch zu erreichen?«
»Er darf zwar Anrufe entgegennehmen, aber das dauert immer seine Zeit; sie werden erst von der Zentrale an ihn durchgestellt.«
»Demnach wäre die einzige sichere Lösung eine Zeitungsannonce.«
»Wir wissen, daß dieser reizende Mensch den Tattler liest. Dieser Artikel über Graham und Lecter stand im Tattler. Sonst weiß ich von keiner Zeitung, die darüber berichtet hat.«
»Drei Ts und ein R - wie in Tattler. Unter Vermischtes vielleicht? Ich jedenfalls würde dort mal nachsehen.«
Crawford fragte erst bei der FBI-Bibliothek an und gab dann seine Anweisungen telefonisch an die Außendienststelle in Chicago durch.
Bowman reichte Crawford den Dokumentenbehälter, als er fertig war.
»Der Tattler kommt heute abend raus«, sagte Crawford. »Er wird montags und donnerstags in Chicago gedruckt. Wir bekommen die Fahnen des
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