Roter Engel
nahm an, Sie könnten mir helfen. Die Cops scheinen mich für eine Ausgeburt aus der Hölle zu halten.« Sie setzte ihr Glas ab und sah ihn an. »Bryan, Sie wissen, daß ich meiner Mutter nie einen Schmerz zugefügt habe.«
»Genau das habe ich ihnen gesagt.«
»Glauben Sie, man hat es Ihnen abgenommen?«
»Ich weiß nicht.«
»Was haben sie denn gefragt?«
Er gönnte sich einen Schluck. Sie merkte, daß er so seine Antwort hinauszögerte.
»Sie haben nach Ihrer Medikation gefragt«, sagte er schließlich.
»Sie wollten wissen, ob Ellen irgendwelche verschreibungspflichtigen Drogen nahm. Und sie fragten nach den Verbrennungen an ihren Händen.«
»Sie haben erklärt, was vorgefallen war?«
»Mehr als einmal. Meine Antwort schien ihnen nicht zu gefallen. Was geht da vor, Toby?«
Sie sank zurück und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Jane Nolan steckt dahinter. Ich weiß aber nicht, warum sie mir das antut …«
»Ihnen was antut?«
»Anders kann ich es nicht ausdrücken. Jane kommt zu mir ins Haus, und sie scheint mir wie – ein Geschenk des Himmels. Sie ist klug, sie ist nett. Sie ist perfekt. Sie kommt herein und läßt mich wieder aufleben. Und dann läuft alles schief.
Alles.
Und Jane geht hin und erzählt der Polizei, es ist meine Schuld. Es ist fast, als wäre sie tatsächlich darauf aus, mein Leben zu ruinieren.«
»Toby, das hört sich so verrückt an …«
»Menschen
sind
verrückt. Sie tun verrückte Dinge, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dauernd sage ich der Polizei, daß sie es ist, auf die sie ihr Augenmerk lenken sollten. Die sie festnehmen sollten. Aber sie unternehmen nichts.«
»Ich glaube nicht, daß es Ihnen etwas bringt, wenn Sie Jane Nolan angreifen.«
»Sie greift
mich
an. Sie wirft mir vor, ich tue meiner eigenen Mutter etwas an. Warum ruft sie denn die Polizei? Warum hat sie nicht einfach
mich
gefragt, woher die Brandwunden an den Händen meiner Mutter rühren? Und warum zieht sie Vickie mit herein? Sie hetzt meine eigene Schwester gegen mich auf.«
»Aus welchem Grund?«
»Das weiß ich nicht. Sie ist
verrückt.
«
Sie sah, wie Bryan wegsah, und wurde sich bewußt, daß
sie
es war, die sich verrückt anhörte und einen Psychiater brauchte.
»Ich habe es in meinem Kopf immer wieder hin und her gewendet, um zu verstehen, wie das alles passiert ist«, sagte sie. »Wie ich es habe passieren
lassen.
Ich habe mir eben Jane nicht so sorgsam angeschaut, wie ich es hätte tun sollen.«
»Jetzt laden Sie nicht alle Schuld auf sich, Toby. War Vickie nicht dabei, als die Wahl auf sie fiel?«
»Ja, aber sie ist in so etwas so oberflächlich. Es ist wirklich meine Verantwortung. Nachdem Sie gekündigt hatten, war ich in Panik. Sie haben mir so wenig Zeit gelassen, jemanden zu finden, der …« Sie brach ab, und plötzlich schoß ihr der Gedanke durch den Kopf:
Das ist der Grund, warum Jane in mein Leben trat. Weil Bryan gekündigt hatte.
»Ich hätte mehr an Sie denken sollen«, sagte er. »Aber sie wollten mich so schnell haben.«
»Warum hat man sich gerade für
Sie
entschieden, Bryan?«
»Wie bitte?«
»Sie sagten, Sie hätten gar nicht nach einem anderen Job gesucht. Und dann hatten Sie plötzlich über Nacht einen neuen. Wie ist das abgelaufen?«
»Sie haben mich angerufen.«
»Wer?«
»Das Pines Nursing Home. Sie suchten einen Experten für Kunsttherapie, und sie wußten, daß ich eine thera-peutische Ausbildung habe und daß ich Künstler bin. Daß schon drei Galerien meine Bilder angenommen hatten.«
»Wie ist man auf Sie gekommen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Irgendwer wird ihnen meinen Namen genannt haben.«
Und geholfen, dich abzuwerben,
dachte sie.
Und mich in die liebe Not zu stürzen, dich zu ersetzen.
Sie verließ Bryans Haus mit mehr unbeantworteten Fragen, als sie vorher gehabt hatte.
Der nächste Weg führte sie ins Springer Hospital, wo sie nach ihrer Mutter schauen wollte.
Es war neun Uhr abends, die Besuchszeit längst vorbei, doch niemand verwehrte ihr den Eintritt in Ellens Kabine auf der Intensivstation.
Das Licht war heruntergedimmt, und Ellen lag im Halbdunkel.
Toby setzte sich an ihr Bett und lauschte auf das gleichmäßige Saugen und Blasen des Beatmungsgeräts. Auf dem Oszilloskop über Ellens Bett zeigte die grüne Linie ihren Herzrhythmus an.
Das Klemmbrett mit den Eintragungen der Schwester hing am Fußende. Toby nahm es, schaltete die kleine Leselampe ein und sah die neuesten Einträge an.
15.45 –
Haut warm, trocken;
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