Roter Engel
Bewerbungsunterlagen wird das nicht erwähnt.«
»Ich weiß, daß sie mindestens ein Jahr für sie tätig war, nachdem sie uns verlassen hatte.«
Toby faltete Janes Unterlagen auseinander. »Hier steht nichts davon. Nach Ihnen kommt das Garden Grove Nursing Home.«
»Ach, das gehört zur Orcutt-Kette. Das ist eine ganze Gruppe von Pflegeheimen, die alle einer Gesellschaft gehören. Wenn Sie für Orcutt arbeiten, können Sie jedem dieser Heime zugeordnet werden.«
»Wie viele gibt es?«
»Vielleicht ein Dutzend. Ich weiß es nicht genau. Aber sie gehören zu unseren größten Konkurrenten.«
Orcutt,
dachte Toby. Warum kam ihr der Name bekannt vor?
»Ich wußte nicht, daß Jane wieder hier in Massachusetts war und sich nach einem Job umsah«, sagte Doris. »Schade, daß sie uns nicht angerufen hat.«
Toby konzentrierte sich wieder auf Doris. »Sie war inzwischen woanders?«
»Vor ein paar Monaten hat sie uns mal eine Postkarte aus Arizona geschickt und mitgeteilt, sie habe geheiratet. Beschäftigt sei sie jetzt nicht mehr. Das war das letzte, was ich von ihr gehört habe. Ich nehme an, sie ist wieder hierher zurückgezogen.« Doris sah Toby neugierig an. »Wenn Sie vorhaben, sie einzustellen, warum reden Sie dann nicht direkt mit ihr? Sie wird Ihnen die Unterlagen dann erklären.«
»Ich checke das lieber doppelt ab«, log Toby. »Ich plane schon, sie zu nehmen, aber etwas macht mich noch unsicher. Es ist wegen meiner Mutter, die wirklich nicht für sich selbst sorgen kann. Ich muß da sehr aufpassen.«
»Also für Jane kann ich bürgen. Sie ist mit unseren Patienten wunderbar umgegangen.« Doris trat an einen Tisch und legte einer alten Frau die Hand auf die Schulter. »Miriam. Liebe. Sie erinnern sich doch an Jane, oder?«
Die Frau lächelte. Sie hielt einen Löffel voll Kartoffel-püree vor ihren Mund. Ihr Gebiß lag neben dem Teller. »Kommt sie wieder zu uns?«
»Nein, meine Liebe. Ich möchte nur, daß Sie dieser Lady erzählen, ob Sie Jane gemocht haben oder nicht.«
»Ich
liebe
Janey. Sie hat sich lange nicht mehr bei mir sehen lassen.«
»Jane war fort, meine Liebe.«
»Und das Baby? Wie groß inzwischen das Baby wohl ist? Sagen Sie ihr, sie soll wiederkommen.«
Doris richtete sich wieder auf und sah Toby an. »Wenn das nicht eine wirklich gute Empfehlung ist.«
Toby ging zurück zu ihrem Wagen, saß da und starrte frustriert auf das Armaturenbrett. Warum erkannte denn niemand die Wahrheit? Janes ehemalige Patienten liebten sie. Ihre Exarbeitgeber liebten sie. Sie war eine Frau, die offenbar jeder liebte, eine Heilige.
Und ich bin die Teufelin.
Sie wollte gerade den Zündschlüssel drehen, als ihr plötzlich einfiel, wo sie den Namen Orcutt gehört hatte.
Robbie Brace hatte ihn erwähnt. An diesem Abend in der Registratur von Brant Hill hatte er ihr gesagt, bei ihnen sei auch das Zentralregister Orcutt-Health-Pflegeheime untergebracht.
Sie stieg wieder aus und ging in das Haus zurück. Doris Macon war im Stationszimmer und saß über den Protokollbögen. Sie war sichtlich überrascht, Toby noch einmal zu sehen.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte Toby. »Diese Frau im Speisesaal sprach von einem Baby. Hatte Jane ein Kind?«
»Eine Tochter. Warum?«
»Sie hat nie davon gesprochen …« Toby brach ab. Ihre Gedanken schossen gleichzeitig in ein Dutzend verschiedene Richtungen. War das Baby inzwischen gestorben? Hatte es überhaupt jemals ein Kind gegeben? Oder hatte Jane es einfach nicht für nötig gehalten, die Tatsache zu erwähnen, daß sie eine Tochter hatte?
Doris sah sie verblüfft an. »Entschuldigen Sie, aber ist das irgendwie von Bedeutung für Ihre Entscheidung?«
Warum hat sie das Baby nie erwähnt?
Toby gab sich einen Ruck. »Wie sieht Jane aus?«
»Haben Sie denn nicht mit ihr gesprochen? Sie haben sie doch selbst gesehen …«
»
Wie sieht sie aus?
«
Erschreckt von Tobys scharfem Ton starrte Doris sie einen Augenblick an. »Sie – na ja –, sie sieht ganz durchschnittlich aus. An ihr ist nichts Ungewöhnliches.«
»Wie groß ist sie? Welche Haarfarbe?«
Doris stand auf. »Wir haben Gruppenfotos von unserem Mitarbeiterstab. Die machen wir jedes Jahr. Ich kann sie Ihnen zeigen.« Sie führte Toby hinaus auf den Flur, wo eine Reihe gerahmter Fotos an der Wand hing, jedes mit einem Aufnahmedatum versehen. Sie reichten zurück bis 1981 – wahrscheinlich dem Jahr, in dem das Wayside Nursing Home eröffnet worden war. Doris blieb vor einem zwei Jahre alten Foto stehen
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