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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Molly.«
    »Dauert es lange?«
    »Das hängt davon ab, ob du mir weiterhelfen kannst. Ob du etwas weißt.« Er zeigte noch einmal auf den Stuhl.
    Widerstrebend setzte sie sich und schlug den Regenmantel wie eine Schutzhaut um sich. Trotzig schob sie die dicke Unterlippe nach vorn.
    Er stand an den Schreibtisch gelehnt und sah auf sie hinunter.
    »Vor zwei Tagen hast du den Notruf angerufen. Deine Stimme ist in der Zentrale aufgezeichnet worden. Du hast eine Ambulanz angefordert.«
    »Wußte nicht, daß es ein Verbrechen ist, eine Ambulanz zu rufen.«
    »Als die Sanitäter dort ankamen, fanden sie eine verblutete Frau. Du warst bei ihr in dem Apartment. Was ist passiert, Molly?«
    Sie schwieg mit gesenktem Kopf. Das glatte Haar hing ihr über das Gesicht.
    »Ich sage ja gar nicht, daß du irgendwas falsch gemacht hast. Ich muß nur Bescheid wissen.«
    Das Mädchen sah ihn nicht an. Sie schlang die Arme um ihre Brust und schaukelte auf dem Stuhl hin und her. »War nicht meine Schuld«, flüsterte sie.
    »Ich weiß.«
    »Ich möchte gehen. Kann ich nicht einfach gehen?«
    »Nein, Molly. Wir müssen erst miteinander reden. Kannst du mich mal ansehen?«
    Sie tat es nicht. Sie hielt den Blick gesenkt, als würde die Erwiderung seines Blicks einer Niederlage gleichkommen.
    »Warum willst du nicht reden?«
    »Warum sollte ich? Ich kenne Sie ja gar nicht.«
    »Vor mir mußt du keine Angst haben. Ich bin kein Cop. Ich bin Arzt.«
    Doch damit bewirkte er das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. Sie zog sich nur noch tiefer in ihren Sitz zurück und schauderte. Aus diesem Mädchen wurde er nicht schlau. Sie war für ihn ein fremdes Wesen. Alle Teenager waren das. Er wußte nicht mehr, wie er weitermachen sollte.
    Die Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch summte.
    »Dr. Toby Harper ist da«, sagte seine Sekretärin.
    »Ich bin unabkömmlich.«
    »Ich glaube nicht, daß sie einfach wieder geht. Sie besteht darauf, heraufzukommen und Sie zu sprechen.«
    »Hören Sie, im Moment kann ich wirklich nicht mit ihr reden.«
    »Soll ich sie warten lassen?«
    Er seufzte. »In Ordnung. Soll sie warten, aber es kann eine Weile dauern.«
    Dvorak wandte sich wieder an Molly Picker, und er ärgerte sich gehörig. Ein weibliches Wesen wollte ihn unbedingt sprechen, ein anderes weigerte sich, auch nur ein Wort zu sagen.
    »Molly«, sagte er. »Ich muß etwas über deine Freundin Annie wissen. Über die Frau, die jetzt tot ist. Hat sie Drogen genommen? Irgendwelche Medikamente?«
    Das Mädchen schauderte wieder und krümmte sich zusammen.
    »Es ist sehr wichtig. Die Frau hatte einen stark mißge-bildeten Fötus. Ich muß wissen, was sie eingenommen hat. Das könnte auch für andere schwangere Frauen eine lebenswichtige Information sein. Molly?«
    Das Mädchen fing an zu zittern. Zuerst verstand Dvorak nicht, was da vor sich ging. Er dachte, ihr sei wohl kalt. Dann fiel sie nach vorn mit dem Kopf auf den Boden. Ihre Glieder begannen zu zucken, ihr ganzer Körper wurde von Krämpfen geschüttelt.
    Dvorak kniete sich neben sie und versuchte verzweifelt, ihren Regenmantel aufzubekommen. Er hatte sich um ihren Hals verwickelt, aber sie schlug mit Armen und Beinen mit übermenschlichen Kräften um sich. Schließlich gelang es ihm, ihren Hals frei zu bekommen. Ihr Anfall dauerte noch an. Das Gesicht war tiefrot angelaufen. Die Augen waren nach hinten gerollt.
Was jetzt? Ich bin Pathologe, kein Nothilfearzt …
Er sprang auf und drückte den Knopf der Gegensprechanlage.
    »Ich brauche Dr. Harper! Schicken Sie sie
sofort
rauf!«
    »Aber ich dachte, Sie hätten gesagt …«
    »Ich habe hier einen Notfall!«
    Er wandte sich wieder Molly zu. Die hatte aufgehört, um sich zu schlagen, aber ihr Gesicht war immer noch tiefrot, und auf der Stirn bildete sich eine Beule vom Sturz auf den Boden.
    Sie darf jetzt nicht aspirieren. Bring sie in Seitenlage.
Erinnerungsbrocken aus seiner Ausbildungszeit kamen durch alle Panik wieder an die Oberfläche. Er kniete sich neben das Mädchen und drehte es schnell auf die linke Seite, das Gesicht leicht nach unten gerichtet. Wenn sie sich jetzt übergeben sollte, würde der hochkommende Mageninhalt nicht in die Lunge geraten. Er fühlte ihren Puls – er war schnell, aber stark. Und sie atmete noch.
    Okay, okay. Luftwege sind frei. Sie respiriert. Kreislauf ist auch in Ordnung. Was habe ich vergessen?
    Die Tür ging auf, und Toby kam herein. Er sah zu ihr auf, doch ihr Blick fiel gleich auf das Mädchen, und sie kniete

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