Roter Herbst - Kriminalroman
Amanda. Magnus kann nicht darüber reden. Dabei ist das schon so lange her, dass unsere Marlies weg ist. Stell dir vor, manchmal kann ich mich nicht einmal mehr erinnern, wie unsere Kleine vor all den Jahren ausgesehen hat … Kann mich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Nur wenn ich die Fotos aus ihrer Kindheit sehe …« Sie machte eine Handbewegung, als wischte sie sich ihre Hände an der Schürze ab.
»So geht es mir auch oft«, sagte Amanda. »Man vergisst Gesichter … Auch von denen, die man mal gerngehabt hat. Hast du sie noch einmal gesehen, bevor sie …«
»Ja, aber das war nicht mehr die Marlies, unser Kind …«
»Was ist damals eigentlich passiert? Hier bei euch zu Hause. Warum ist sie weg? Hat es eine Auseinandersetzung gegeben?«
Die Frau nickte, was Amanda in der Dunkelheit mehr erahnte, als dass sie es tatsächlich sah.
»Die beiden, die Marlies und der Magnus, haben zuletzt oft gestritten. Immer und immer wieder. Dabei ist er früher so stolz auf sie gewesen. Richtig vernarrt ist er in das Kind gewesen. Aber dann … wie sie plötzlich dahergeredet hat … der ganze politische Quatsch. Magnus hat das nicht verstanden, der hat das Gerede gehasst und die Gammler, mit denen sie zusammen war. Lauter Langhaarige und Kommunisten aus der Stadt. Richtige Terroristen waren das. Die waren schuld, dass sie sich so verändert hat. Das hat mein Magnus immer gesagt und irgendwann wollte er die Marlies einsperren und dann ist sie halt weg.«
»War das wirklich der einzige Grund?«, fragte Amanda.
Christa Berger schaute sie verständnislos an, und dennoch erweckte sie in Amanda einen Moment lang den Eindruck, als würde sie ihr etwas verschweigen.
»Warum willst du das denn alles wissen, jetzt, wo die Marlies tot ist?«
»Na ja.« Amanda zögerte. »Wegen der Leiche im Moor. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang mit der Marlies. Möglich, dass der Tote Martins Vater war.«
Christa Berger nickte. Amanda war sich nicht sicher, aber auf sie wirkte die alte Frau nicht sonderlich überrascht.
»Christa«, fragte sie dann, ohne große Hoffnung, sie zu einer Aussage bewegen zu können, »weißt du, wer der Papa von eurem Martin ist?« Sie erinnerte sich, wie verschlossen der Berger auf dieselbe Frage reagiert hatte, aber das war kein Grund, die Frage nicht zu stellen. Es dauerte eine Weile, bis die alte Frau antwortete.
»Als die Marlies damals ihre Sachen zusammengepackt hat, da hat sie bloß gesagt, dass sie nach Berlin will. Ich hab sie gefragt, was sie da ganz allein anfangen will, in der Großstadt, wo sie doch niemanden kennt. Aber sie hat gemeint, dass sie jemanden kennt, der einen wichtigen Posten bei der S-Bahn hat. Aber so genau hab ich das nicht verstanden.«
Amanda nickte. Vielleicht war dies ein Anhaltspunkt, um etwas über Martins geheimnisvollen Erzeuger herauszufinden. War die alte Frau vielleicht deshalb aus ihrer Küche gekommen? Um ihr das mitzuteilen?
»Und du meinst, das könnte Martins Papa sein?«
»Kann schon sein. Aber die Marlies hat gesagt, dass der Kerl schon verheiratet ist und Kinder hat … Also ich weiß nicht …«
»Wie war das, als sie euch den Kleinen gebracht hat? Hat sie bei dieser Gelegenheit diesen Mann nochmals erwähnt?«
»Nein. Sie hat damals kaum mit uns geredet. Sie hat irgendwie … verloren gewirkt. Einsam.« Sie zögerte. »Vielleicht wie mein Magnus und ich seitdem.«
Amanda hatte den Eindruck, als würde sie bei ihren letzten Worten lächeln. Dabei nestelte die alte Frau an ihrer Schürzentasche herum und zog schließlich etwas heraus, das sie Amanda hinhielt. Eine in der Mitte geknickte Ansichtskarte mit einem in der Dunkelheit nicht erkennbaren Motiv. »Die hat mir die Marlies damals geschickt, als sie weg ist … Kannst du dir anschauen.«
Amanda hielt die Karte in der Hand, starrte sie an und ehe sie es sich versah, war Christa Berger wieder in ihrer Küche verschwunden. Amanda spürte eine leichte Erregung, vielleicht eher noch eine Vorahnung. Eine Vorahnung die mit der Vergangenheit zu tun hatte.
Auf der kurzen Strecke nach Hause, dachte sie über das Gespräch nach. Christa Bergers Worte hatten ihr etwas vermittelt, was sie im Augenblick noch nicht einordnen konnte. Sie wusste, dass sie irgendwann dahinterkommen würde. Sie musste nur warten.
Es war kurz vor elf, als sie zu Hause ankam. Der Tag war lang gewesen und sie sehnte sich nach ihrer Badewanne. Gleich würde sie ins Badezimmer gehen, das Licht löschen, sich in das
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