Roter Herbst - Kriminalroman
längst die Schule verlassen hatte, war ihm zu Ohren gekommen, dass dieser Lehrer einen Sohn gehabt hatte, der vor Jahren ein altes Bauernhaus und eine Reihe leer stehender Scheunen abgefackelt hatte. Einfach so. Wie es hieß, war dabei ein Kind ums Leben gekommen.
Wie auf Kommando trat der Wirt in diesem Moment an Bichlmaiers Tisch und entzündete einen Kerzenstummel, der in einer altertümlichen Amphore stand. Er benutzte dazu ein riesiges Feuerzeug, das wie ein kleiner Flammenwerfer aussah.
»Holla, die Waldfee«, sagte er dabei, was Bichlmaier als eine für einen Griechen untypische Bemerkung empfand.
Während er auf Amanda Wouters wartete, ging ihm einiges durch den Kopf. Dass er sich schon längst mit der Kollegin hätte treffen und unterhalten sollen. Und dass er sie nach den Dingen fragen musste, von denen ihm Rune erzählt hatte. Er trank langsam sein Bier. Der Wirt hatte sich wieder in einem dunklen Eck verkrochen und ihn allein gelassen. Wie es schien, wartete auch er. Wir alle warteten, dachte er, und dann erinnerte er sich an Rune und wie seltsam sich dieser bei ihrem Gespräch nach den langen Jahren verhalten hatte. Wovor er nur Angst gehabt hatte? Seine Gedanken schweiften zu dem Ereignis im Moor zurück. Noch einmal kramte er das Bild des Toten aus seinem Gedächtnis hervor. Die leeren Augen, die auf eine öde Moorlandschaft gestarrt hatten. Die unnatürlich verdrehte Stellung der Leiche im Baum, die verstümmelten Arme. Warum nur hatten die Gesichtszüge des Mannes Erinnerungen an die Vergangenheit wachgerufen? Er wusste es nicht, konnte es nicht sagen. Aber schließlich war alles schon so lange her.
Der Fluss der Gedanken drängte weiter und natürlich kam ihm dabei auch Marlies Berger in den Sinn. So, wie er sie damals in den 70er-Jahren erlebt hatte. Er hatte sie nur flüchtig gekannt, eigentlich gar nicht, aber sie war ihm aufgefallen, wie vielen seiner Kameraden. Damals, in jenen Tagen der Jugend. Da hatte es unter den einfachen Wehrpflichtigen und den Lehrgangsteilnehmern, wie er einer gewesen war, ohnehin nur ein Thema gegeben, und die hübsche Marlies hatte definitiv eine Hauptrolle in ihren Gesprächen gespielt. Das Städtchen war klein genug gewesen, dass man jedem irgendwann über den Weg gelaufen war. Und die Marlies war allen jungen Männern, die sich in M. und den umliegenden Dörfern herumgetrieben hatten, ein Begriff gewesen. Viele, die scharf auf sie gewesen waren. Dabei hatte sie von den Soldaten nichts wissen wollen und das auch deutlich gezeigt. Sie hatte sich mehr an die Studenten gehalten, erinnerte er sich. An die jungen Leute aus der Stadt, von der Uni. Da waren immer nur diese langhaarigen Klugscheißer um sie herum gewesen. Das hatte aber keinen der Kameraden davon abgehalten, von ihr zu träumen.
Amanda Wouters traf kurz nach halb sechs ein, genau, wie sie es versprochen hatte. Sie hatte das Delphi vorgeschlagen, weil sie ganz verrückt nach dem dortigen Oktopussalat war. »Den müssen Sie unbedingt probieren.«
Bichlmaier hatte am Telefon zustimmend gebrummt, dabei aber eher von einem frischen Presssack mit Musik geträumt, wie man ihn beim Kneitinger in Regensburg bekam. »Warum nicht?«, hatte er dann nur gemeint.
Sie schien etwas atemlos und schüttelte ihm zaghaft die Hand. Dann hängte sie ihren Mantel über die Stuhllehne.
»Nicht viel los hier, aber unter der Woche ist das immer so.« Sie lächelte ihn an, als wollte sie sich dafür entschuldigen.
Der kleine Grieche mit dem Faible für deutsche Redewendungen war aus dem Dunkel aufgetaucht. In der Hand hielt er zwei riesige Speisekarten, die er schwungvoll vor sie hinlegte.
»Lass jucken, Kumpel«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
»Wollen wir etwas essen?«, fragte Amanda Wouters und Bichlmaier nickte zustimmend.
Sie sah gut aus, dachte er. Aber dann erinnerte er sich daran, dass er eigentlich von Frauen genug hatte. Er seufzte. Trotzdem fühlte er sich überraschend wohl in ihrer Gesellschaft.
Bichlmaier war längst auf Mineralwasser umgestiegen, während sich Amanda Wouters noch ein Glas Retsina bringen ließ. Beide hatten sie auf eine Nachspeise verzichtet und warteten, dass der Tisch abgeräumt wurde, um sich ungestört mit dem Mordfall beschäftigen zu können. Amanda warf Bichlmaier einen prüfenden Blick zu, als wollte sie sich noch einmal vergewissern, dass sie offen mit ihm sprechen konnte. Schon als sie telefoniert hatten, war ihr klar geworden, dass er den Fall mit großem
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