Roter Herbst - Kriminalroman
Mädchen, Mädchen … und die Marlies Berger, die kannte jeder von uns. Die meisten hätten Gott weiß was gegeben, wenn sie mit ihr eine Nacht hätten verbringen dürfen. Wenn sie zum Schuss gekommen wären, wie das damals hieß … Ich natürlich auch.«
»Und?«
»Nichts ›und‹! Da war nichts. Die hat uns Soldaten gar nicht wahrgenommen. Für sie waren wir Spießer. Vielleicht waren wir einfach auch nur zu unreif für sie. Zu normal und konservativ. Vielleicht war es wirklich rein politisch …« Er sah sie über den Rand seiner Brille an. »Heute ist das alles anders. Die Jugendlichen sind viel selbstbewusster, alles geht schneller und die Politik spielt keine Rolle mehr.«
»Glauben Sie wirklich?« Sie lachte. »Was waren das für Typen, mit denen Marlies rumhing?«
»Das waren zum Teil ganz verrückte Leute. Langhaarige Wirrköpfe aus der linken Szene. Einmal hieß es, dass auch Baader-Meinhof-Leute darunter gewesen sein sollen. Aber das waren wirklich nur Gerüchte.«
»Haben Sie sich denn in denselben Lokalen aufgehalten wie die?«
»Natürlich. Und da flogen schon manchmal die Fetzen … Damals gab es nicht so viele Möglichkeiten, wo man hingehen konnte. Da gab es das Round up und den Rohrersaal neben der Kirche …«
»Und das Weiße Roß, beim Berger?«
Bichlmaier zuckte mit den Schultern. »Darüber weiß ich nicht sehr viel«, sagte er. »Ich erinnere mich nur, dass einige von unseren Ausbildern dort Stammgäste waren. Die waren natürlich schon etwas älter, und wir wollten ihnen nicht auch noch in unserer Freizeit über den Weg laufen. Verstehen Sie? Außerdem war das Weiße Roß eher etwas für die Einheimischen. Unter den jungen Leuten hatte es keinen besonders guten Ruf … ein recht altmodischer Schuppen.«
Amanda nickte. Sie musste plötzlich an ihren Vater denken. Der hatte auch des Öfteren beim Berger gesessen. Wie die meisten Männer aus den umliegenden Dörfern. Er hatte nie viel erzählt, wenn er nach Hause kam, aber es war immer klar gewesen, dass das, was die Männer dort besprachen, ehernes Gesetz für das Leben in den kleinen Gemeinden rings um das Moor sein würde. Als Kind hatte sie sich nichts dabei gedacht, aber als sie älter wurde, war ihr die Welt des Vaters seltsam archaisch vorgekommen, eine Welt, die ihr dunkel und undurchdringlich erschienen war, von der sie allerdings nur wenig mitbekommen hatte. Sie wusste aber, dass in dieser Welt Männer wie Magnus Berger das Sagen gehabt hatten. Sie seufzte und Bichlmaier schaute sie erheitert an. Woran sie nur dachte?
»Haben Sie je Gerüchte vernommen, dass es hier in der Gegend Aktivitäten von Wehrsportgruppen gegeben hat?«, fragte er und merkte, wie sie überrascht auf die Frage reagierte.
»Wann soll das gewesen sein?«
»Ende der 60er und Anfang der 70er. Genaues weiß ich nicht.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ein Freund von mir hat so etwas erwähnt. Mein Zugführer von damals. Rune Baumann.«
»Ach, Rune. Ich kenne Rune«, sagte sie. »Als er jung war, hat er seine kleine Tochter verloren. Wahrscheinlich wissen Sie das.«
Sie blickte ihn an und Bichlmaier nickte. »Ja, ein schrecklicher Unfall.« Er zögerte einen Moment. »Woher kennen Sie denn Rune?«
Sie hob die Schultern. »Jeder hier kennt Rune. Er gehört einfach hierher. Die meisten wissen ja, was mit seiner Tochter passiert ist. Auch wenn das schon so lange her ist. Eine sehr enge Welt …« Wieder schien es, als wollte sie sich für Dinge entschuldigen, die sie nicht beeinflussen konnte.
»Das ist in Regensburg nicht viel anders …«
Eine Zeit lang schwiegen sie, ließen ihre Gedanken wandern.
»Aber Wehrsportgruppen …«, fuhr sie fort, »ich weiß nicht. Es gibt immer mal wieder Erzählungen, dass sich im Moor eigenartige Dinge zugetragen haben. Früher. Darüber wird aber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Stammtischthemen von alten Männern vielleicht, Folklore …«
Bichlmaier nickte. Das Moor lud ein, Geschichten zu erzählen. Da war es nicht ungewöhnlich, dass Gerüchte aufkamen, die dem Wunsch der Menschen entsprangen, das Geheimnisvolle des Lebens in Worte zu kleiden.
»Können Sie sich vorstellen, dass es jungen Männern Spaß bereitet, mit Gewehren durchs Gelände zu robben?«
Er hörte die Skepsis in ihren Worten, das Unverständnis der Frau, die dem Kind im Manne verständnislos gegenübersteht.
»Na ja, das ist, was Soldaten so machen, und auch die obskuren Kameraden, die sich diesen Gruppierungen
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