Roter Herbst - Kriminalroman
der letzten Tage. Frau Weber tat in diesem Fall das einzig Richtige. Sie nahm ihre Tochter und die Zeitung und marschierte damit zur nächsten Polizeidienststelle.
Damit aber nahmen die Dinge ihren Lauf und kurz nach 14.30 Uhr erreichte die Nachricht von Otto Brenners gewaltsamem Tod Amanda Wouters, die gerade die Füße hochgelegt hatte und über ihr Gespräch vom vergangenen Abend mit dem Kollegen Bichlmaier aus Regensburg nachdachte. Den Beamten in München war natürlich bekannt, dass im Umfeld des Todes von Marlies Berger recherchiert wurde, und sie hatten erfreulicherweise eins und eins zusammengezählt und die Nachricht umgehend weitergeleitet.
Daraufhin kontaktierte Amanda Wouters Edi Nowak, der noch immer in München weilte und bereits von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt worden war. Auch er war, wie er sagte, über die Maßen erstaunt und versprach, sich sofort mit KOK Ströher in Verbindung zu setzen.
18
Adolf Bichlmaier keuchte, als er den engen Pfad hinaufschritt, den er vor wenigen Tagen erst gegangen war. Damals hatte die Trauergemeinde Abschied von Marlies Berger genommen, hatte mit großer Inbrunst gebetet, dass sie die ewige Ruhe erlangen möge. Aber was war schon ewig?, dachte er jetzt. Immer wieder blieb er für einen kurzen Moment stehen, um zu verschnaufen, um Atem zu holen. Welcher Idiot hatte nur die Idee gehabt, den Friedhof auf einer so schwer zugänglichen Anhöhe zu errichten? Damit kam man dem Himmel doch auch nicht näher. Er blickte um sich. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
Erst als er sich durch das Friedhofstor zwängte, das halb offenstand und in den rostigen Angeln quietschte, trug der Wind von irgendwo hinter der kleinen Kapelle Stimmen herbei. Er verharrte für einen Moment, lauschte den gedämpften Lauten und folgte dem Kiesweg, der ihn an Gräbern und Stauden und verkrüppelten Kiefern vorbei zu Marlies’ Grab führte.
Und als er so an den Gräbern vorbeischritt, hie und da einen Blick auf unbekannte Namen warf, wurde er sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder der Einsamkeit und der Leere in seinem Leben bewusst. Wo in dieser Welt lebte der Mensch, dessen Tod ihm einen Verlust bedeuten würde? Und wo war der Mensch, dem sein Tod etwas bedeuten könnte? Er wusste keine Antwort.
Hastig schritt er weiter. Fast schien es, als sei er zu spät gekommen, doch als er näher trat, sah er, dass der Sarg zwar gehoben, jedoch noch nicht geöffnet worden war. Derselbe Geistliche, der die Beerdigungszeremonie vor wenigen Tagen vorgenommen hatte, stand vor dem Sarg und sprach ein kurzes Gebet.
Bichlmaiers suchender Blick glitt über das Häuflein von frierenden Menschen, die seltsam verloren um den Sarg verharrten. Die Eltern der Toten waren, wie er erleichtert feststellte, nicht gekommen. Amanda Wouters stand neben dem Pfarrer und zwei gelangweilt dreinblickenden Männern in Wintermänteln, dem Staatsanwalt und dem Gerichtsmediziner, wie er vermutete. Sie nickte ihm kurz zu, als er auf die Gruppe zu trat. Sobald das Gebet zu Ende war und sich die Worte des Priesters im Wind aufgelöst hatten, räusperte sie sich und gab den beiden Arbeitern der Friedhofsverwaltung das Zeichen, den Sarg zu öffnen. Gleichzeitig begann ein ebenfalls anwesender Polizeifotograf, ein sommersprossiger Bursche, der ziemlich müde und gelangweilt dreinblickte und wenig Anteilnahme ausstrahlte, Fotos von diesem Vorgang zu machen. Bichlmaier selbst wusste nicht so recht, was ihn erwarten würde. Trotz der langen Dienstjahre war es das erste Mal, dass er einer Exhumierung beiwohnte.
Obwohl er etwas abseits stand, schien ihm, dass der Leichnam, soweit er das erkennen konnte, für das bloße Auge noch völlig unversehrt war. Aber was hatte er auch erwartet? Dass der Zersetzungsprozess bereits sichtbar eingesetzt hatte? Dass Maden und Würmer sich des toten Fleisches bemächtigt hatten? Er wusste es nicht. Es kostete ihn dennoch Mühe, die Augen auf das Gesicht der Toten zu richten. Ein friedliches Gesicht, das seltsam wächsern in den Kissen ruhte. Ein völlig fremdes Gesicht, das mit dem, das er in seiner Erinnerung bewahrt hatte, nichts mehr gemein hatte.
Welches Geheimnis hatte sie nur mit sich in den Tod genommen, dachte er und merkte, dass es ihn etwas würgte. Vielleicht lag das aber nur daran, dass der Fotograf mit seinem hektischen Knipsen jegliche Stimmung versaute.
Zum Glück neigten die beiden Friedhofswärter nicht zu irgendwelchen Sentimentalitäten. Es dauerte nur
Weitere Kostenlose Bücher