Roter Herbst - Kriminalroman
sagte Amanda. »Ein Gast aus …«
Bichlmaier nickte. Er blickte in die Augen des Mannes. Unergründliche Augen, dachte er. Kraft und aufbrausendes Temperament lagen darin. Dazu etwas Melancholisches. Wie es schien, hatte Pericles Johnson jedoch keinen Schimmer, dass sie sich schon einmal begegnet waren. Wie sollte er auch?
»Dann sind Sie wohl einer von uns, aus unserem Stall?«, fragte Bichlmaier. Die Frage klang in seinen eigenen Ohren seltsam flach und fast ein wenig überheblich. Aber den anderen schien das nicht zu stören. Er lachte und seine Narbe verzog sich dabei.
»Nein, eigentlich nicht. Ich arbeite eher in der Verwaltung … Washington, D. C., du verstehst?« Er zog an seiner Zigarette, die er in der hohlen Hand hielt, als wollte er sie verstecken. »Aber natürlich bin ich auch Bulle.«
Dann hielt er ihm seine Pranke hin. »Call me Percy.«
Bichlmaier gab ihm die Hand, wobei er ihn unverhohlen musterte.
»Der Kommissar kommt aus Regensburg und unterstützt uns bei unseren Recherchen«, soufflierte Amanda, die etwas abseits stand.
»Ah, aus Regensburg. Eine sehr schöne Stadt. Warum bist du denn überhaupt hier? Hier ist doch alles so trist und traurig.«
Bichlmaier zuckte mit den Schultern.
»Er sucht nach Erinnerungen, nicht wahr?«
Wieder hatte Amanda an seiner Stelle geantwortet und Bichlmaier kam sich etwas unbeholfen vor. Als er den Mann erneut genauer ansah, bemerkte er in seinen Augen eine leichte Amüsiertheit, die ihn störte.
19
»Fotos«, sagte Amanda. »Natürlich. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?«
Bichlmaier blickte sie verwundert an. Die anderen hatten den Raum verlassen, sich an ihre Arbeit gemacht. Auch Percy Johnson war gegangen. Nur er war noch geblieben.
»Als ich neulich mit Marlies’ Mutter gesprochen habe, da hat sie Fotos erwähnt. Fotos von Marlies, als sie ein kleines Mädchen gewesen ist. Vielleicht gibt es ja auch aus der Zeit, als sie ein Teenager war, noch Schnappschüsse. Wäre doch möglich, oder? Und wenn wir Glück haben, ist von dem Burschen, der sie geschwängert hat, irgendwo ein Foto dabei …«
Bichlmaier stöhnte. »Das wäre schon ein unheimlicher Zufall. Aber vielleicht … Zumindest gab es damals richtige Fotos, nicht diese digitalen Aufnahmen, die man sofort wieder löscht, wenn der Speicher voll ist.«
Amanda nickte. »Marlies war ein außergewöhnlich hübsches Mädchen. Sie hat sich sicher gern fotografieren lassen.« Einen Moment lang dachte sie, dass es von ihr selbst nur wenige Erinnerungsfotos gab. Sie hatte es gehasst, wenn man sie fotografieren wollte, war sie sich doch immer wie ein hässliches Entlein vorgekommen.
»Hat man denn in ihrer Wohnung keine Bilder von früher gefunden? Oder bei ihren Sachen? Die meisten Menschen tragen doch etwas Intimes, Persönliches, wie ein Foto bei sich, vor allem, wenn sie allein sind. Aufnahmen von den Eltern, den Kindern oder der großen Liebe …?«
»Ich weiß nicht.« Amanda änderte ihre Haltung auf dem Stuhl und blickte hinter sich. Auf dem Regal an der Wand standen einige Bücher sowie etwas Krimskrams, den sie irgendwann einmal aus Afrika mitgebracht hatte, aber sonst nichts. Keine Bilder. Sie streckte die Arme nach hinten. Ganz überrascht spürte sie mit einem Mal einen stechenden Schmerz, der in sie hineinschoss. Verdammt, was das nur war? Sie nahm die Arme umgehend wieder nach vorn. Na ja, vielleicht sollte sie einfach mehr Gymnastik treiben. Außerdem, dachte sie, wäre es schön, wenn sie jemanden hätte, der sie massieren würde. Gerade jetzt. Mit warmen, festen Fingern, die tief ins Fleisch griffen, Schmerzen bereiteten … wohl eher nichts für den schwermütigen, traurigen Kollegen aus Regensburg. Der sah im Moment ohnehin aus, als bräuchte er selbst eine Massage. So steif, wie der herumlief.
»Nowak soll sich darum kümmern«, sagte sie dann. Sie erhob sich und trat ans Fenster. Sie blickte eine Weile auf die Häuser, den Bahnhof im Hintergrund, das Zentrum der Stadt, das noch immer aussah, wie sie es aus Kindertagen in Erinnerung hatte. Die Menschen hatten sich verändert, dachte sie. Nicht die Gebäude. »Wie es scheint, war Marlies ein ziemlich einsamer Mensch«, fuhr sie fort. »Soweit wir wissen, war die Liste ihrer Bekannten eher kurz. Keiner, der ihr wirklich nahe gestanden hat.«
»Höchstens dieser Mann, den sie in München getötet haben«, sagte Bichlmaier.
»Stimmt. Ein Mann aus dem Milieu, ein Zuhälter …«
»… den man vor seinem
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