Roter Lampion
Beurteilung der Frage nach dem Motiv ein entscheidender Fehler unterlaufen war, als er annahm, daß Geld die treibende Kraft gewesen sein könnte. Wohl mochte Sorokins Ableben für andere von Nutzen sein, der Tod von Su-sus Freund aber kostete zumindest eine mit einem teueren Spezialmotor ausgerüstete Dschunke, und es war nicht anzunehmen, daß Su-sus Freund bei Lo Sung über ein Guthaben verfügte, das den Verlust eines solchen Schiffes hätte ausgleichen können. Es mußten also andere Gründe dafür bestimmend gewesen sein, den jungen Mann in ein nach menschlichem Ermessen aussichtsloses Gefecht zu treiben, und weil der Gejagte das gegen ihn gerichtete üble Spiel am Schluß wohl selbst erkannt hatte, versuchte er sich im Sterben durch Nennung der Firma zu rächen, für die er tätig gewesen war.
Aber noch ein anderes Problem beschäftigte Gordon Cooper. Was wird eigentlich zwischen Hongkong und Macao geschmuggelt, fragte er sich, und als er diese Frage am nächsten Morgen dem Inder Rajan und später auch Su-su stellte, die nun täglich mit ihm nach Victoria fuhr, da konnten ihm zu seiner Verwunderung beide keine Antwort geben. Das vermochten ebenfalls Ah Boon und Lo Sung nicht, die er unter Hinweis auf einen Zeitungsartikel befragte.
»Ich glaube, es wird überhaupt nichts geschmuggelt«, erklärte Ivo Sorokins Kompagnon verächtlich. »Das ist alles nur ein Gerede, um das auf den Hund gekommene Macao für Touristen interessant zu machen.«
»Was führte eigentlich zum Niedergang der Kolonie?« erkundigte sich Cooper im Bestreben, das Gespräch nicht in eine andere Richtung verlaufen zu lassen.
Ah Boon hob beschwörend die Hände. »Sollten Sie jemals nach Macao fahren, dann benutzen Sie, wenn Sie keine Schwierigkeiten haben wollen, dort niemals das Wort ›Kolonie‹. Für die Portugiesen ist Macao eine ›überseeische Provinz‹!«
Gordon Cooper lachte. »Raffiniert ausgedrückt!«
»In diesem Fall sogar mit einer gewissen Berechtigung«, gab Ah Boon zu bedenken. »Macao, das früher den Namen A-Ma-Kao hatte, was übersetzt ›Bucht der Seegöttin Ama‹ heißt, wurde China vor Jahrhunderten nicht geraubt wie Hongkong und andere Kolonien. Portugiesische Schiffe befreiten uns mit ihren weitreichenden Geschützen von japanischen Piraten, die einstmals vor unseren Küsten kreuzten und unsere Seewege kontrollierten. Als Zeichen des Dankes schenkte der regierende Sohn des Himmels den Portugiesen die ›Bucht der Seegöttin Ama‹, die dann durch die sich rücksichtslos gebärdenden Söhne Portugals allerdings zu einem Schröpfkopf am Leibe Chinas wurde.«
»Und wodurch kam Macao auf den Hund, wie Sie es nannten?«
»Da gibt es mehrere Gründe«, antwortete Ah Boon, wobei er mit den borstigen Haaren spielte, die aus seiner Wangenwarze herauswuchsen. »Der schwerste Schlag dürfte der Verlust des Opiummonopols gewesen sein. In Macao wurde Opium früher offen auf der Straße verkauft. Heute macht China das Geschäft, indem es die westliche Welt über alle möglichen unbekannten Pfade versorgt.«
»Also wird Opium geschmuggelt!« triumphierte Cooper.
Ah Boon lächelte. »Gewiß, aber nicht über Macao. Warum so kompliziert, wenn man die Ware in jedem chinesischen Hafen verladen kann? In der ›überseeischen Provinz‹ sind die süßen Träume heute sogar verboten, und Mao Tse-tung achtet streng darauf, daß die von ihm geforderten Bestimmungen zur ›moralischen Erneuerung der Enklave‹ nicht nur erlassen, sondern auch eingehalten werden.«
Wenn China in dieser seltsamen Domäne so viel zu sagen hat, dann wird es auch andere Dinge über Macao abwickeln, dachte Cooper insgeheim.
Ah Boon kicherte vor sich hin. »Den Krieg gegen die leichten Mädchen der Rua da Felicidada hat Mao allerdings verloren, wenngleich hauteng gekleidete Damen nicht mehr zu sehen sind. Dafür gibt es jetzt eine Unzahl von munteren Soubretten und tüchtigen Masseusen. Hihihi…!«
Cooper lachte vorsorglich mit und stellte dann eine Frage, die sich ihm zwangsläufig aufdrängte: »Warum unternimmt die Volksrepublik nichts gegen ein in ihrem Fleisch sitzendes Provinzchen wie Macao, dessen kapitalistische Ausrichtung ihr doch zuwider sein muß?«
Um Ah Boons Lippen spielte ein überlegenes Lächeln. »Weil Macao ein Tor ist, das man benötigt, wenn man die Verbindung mit der Welt nicht verlieren will. Denken Sie nur an die Agenten aller Herren Länder, die sich dort ein Stelldichein geben. In Macao wird niemand angetastet, und
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