Roter Lampion
erkennen zu lassen, wie sehr ihn die Antwort interessierte.
»Weil… Ich weiß es nicht… Ich habe mit einem Male das Gefühl, daß Mister Sorokin Ihnen nichts über seine Tätigkeit in Shanghai erzählt hat.«
»Nein, das tat er nicht«, erwiderte Cooper in aller Offenheit. »Über private Dinge haben wir praktisch überhaupt noch nicht gesprochen. Die geschäftlichen Dinge waren wichtiger.«
»Gewiß«, entgegnete Ah Boon und setzte sich wieder in Bewegung. »Vielleicht wird er Ihnen eines Tages von Shanghai erzählen. Wenn nicht, dann… Die Sache ist im Grunde genommen eine Kinderei!« unterbrach er sich und blieb mit einer lebhaften Geste erneut stehen. »Mister Sorokin befürchtet, im Westen an Vertrauen zu verlieren, wenn bekannt wird, daß er einige Jahre in meiner Firma tätig war.«
»Das verstehe ich nicht«, warf Gordon Cooper ein, um noch mehr herauszulocken. »Warum sollte ihn diese Tätigkeit belasten?«
»Weil mein Hauptgeschäft schon damals der Handel mit Waffen war. Ich bezog sie aus Japan und belieferte die ›Vierte Armee‹, die unter dem Befehl Tschiang Kai-scheks stand, dann aber meuterte und sich fortan ›Rote Armee‹ nannte. Zwangsläufig wurde ich dadurch Lieferant der Kommunisten, mit deren Führern selbstverständlich verhandelt werden mußte. Dadurch lernte ich – später auch Mister Sorokin – Männer wie Tschou En-lai und Liu Tschao-tschi kennen, und das möchte mein heutiger Kompagnon für seine Person nicht publik werden lassen. Er befürchtet, daß sich im Westen alle Türen vor ihm verschließen würden, wenn man erfährt, daß er einmal mit Kommunisten Geschäfte gemacht hat.«
»Da gebe ich ihm recht«, fiel Cooper lebhaft ein und überlegte: Wenn Sorokin seine früheren Beziehungen zu kommunistischen Führern verheimlicht, dann muß es andere als die genannten Gründe geben. Was aber veranlaßte Ah Boon, ihm, dem gerade neu gewonnenen Mitarbeiter, so viel Vertrauen zu schenken? Es erschien Cooper absurd, dem routinierten Finanzexperten Leichtfertigkeit oder gar Absicht zu unterstellen.
Ah Boons ein wenig ratlos klingende Frage: »Glauben Sie wirklich, daß Mister Sorokin gut daran tut, seine früheren Bekanntschaften zu verschweigen?« riß Cooper aus seinen Gedanken.
»Das ist ganz entschieden meine Meinung«, antwortete er mit Nachdruck und fügte lächelnd hinzu: »Da Sie dies nicht ganz zu verstehen scheinen, wage ich es, an jenen Abgrund zu erinnern, von dem Sie vorhin sprachen. Das europäische Denken unterscheidet sich wirklich sehr vom chinesischen.«
Ah Boon nickte grüblerisch vor sich hin. »Dann möchte ich Sie in unser aller Interesse bitten, das Gehörte für sich zu behalten.«
»Darauf gebe ich Ihnen mein Wort«, versicherte Cooper mit warmer Stimme. »Auch Mister Sorokin gegenüber werde ich schweigen, weil es sein könnte, daß es ihm nicht ganz recht ist, wenn ich… Aber reden wir von etwas anderem«, unterbrach er sich lachend. »Wo steckt Ihr Neffe? Ich habe ihn überhaupt nicht zu sehen bekommen.«
Der Themenwechsel schien Ah Boon zu erleichtern. »Er bekam gestern den Besuch eines Freundes aus Macao, der ihn bat, mit nach Kanton zu fahren.«
»Nach Kanton?« fragte Cooper erstaunt. »Die Stadt liegt doch in der Volksrepublik.«
»Allerdings.«
»Und da kann man einfach hinfahren?«
»Aber gewiß. Wir Chinesen können jederzeit in unsere Heimat reisen.«
Noch am selben Tage suchte Cooper ein Reisebüro auf, das ihm eine andere Auskunft erteilte und unmißverständlich erklärte, daß selbst in dringenden Sonderfällen keine kurzfristige Grenzübertrittsgenehmigung erteilt werde.
Der Fall ›British Chinese Ex- and Import Company‹ fängt an interessant zu werden, dachte Cooper zufrieden, als er auf die Straße zurückkehrte. Sorokin verschweigt, daß er in Shanghai gelebt hat und dort vielversprechende Beziehungen anknüpfte. Ah Boon belügt mich und könnte ein Wolf im Schafspelz sein. Lo Sung kann jederzeit nach China reisen und hat einen Freund, der in der portugiesischen Domäne Macao wohnt, wo Laster, Schmuggel und Agenten zu Hause sind. Mein Auftrag sieht nicht mehr ganz hoffnungslos aus.
Der Schatten des Verwaltungsgebäudes der ›Bank of China‹ fiel bereits auf das Spielfeld des britischen Kricketclubs, als Gordon Cooper mit dem Inder Rajan nach Stanley zurückfuhr. Er war mit dem Verlauf des Tages zufrieden und wollte noch am selben Abend einen ausführlichen Brief an seinen Londoner Vorgesetzten Sir Harrison
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