Roter Lampion
Herrschaftsräume nicht zu verwehren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Sitten des Landes anzupassen und das groteske Bild der zwischen modernen Sesseln und kostbaren Vasen schreiend auf dem Boden liegenden Chinesen zu ertragen.
»Beim nächsten Taifun ziehe ich in ein Hotel«, sagte er dem Inder, als er sich am darauffolgenden Mittag in die Stadt fahren ließ.
In den frühen Morgenstunden hatte der Orkan noch mit unverminderter Stärke getobt, gegen zwölf Uhr aber hatte das Radio schließlich melden können, der ›Große Wind‹ sei seitlich an Hongkong vorbeigezogen, und es bestehe nicht mehr die Gefahr des gefürchteten Windstoßes aus der entgegengesetzten Richtung.
Als Gordon Cooper das Büro der ›British Chinese Ex- and Import Company‹ erreichte, war Lo Sung bereits anwesend, während die meisten Angestellten noch fehlten. Der Chinese begrüßte ihn mit einer kaum mehr erträglichen Herzlichkeit, und Cooper, der alles gewissenhaft registrierte, führte Lo Sungs von Tag zu Tag wachsende Freundlichkeit darauf zurück, daß Su-su ihm Berichte gab, die ihm zusagten und seine Eitelkeit befriedigten. Er hatte den Spieß umgedreht und die als Ohr eingesetzte kleine Chinesin zu seinem Mund gemacht.
An diesem Tag aber bemühte sich Lo Sung so sehr um Gordon Cooper, daß dieser stutzte und sich fragte, was dahinterstecken könnte. Doch dann klärte der Chinese des Rätsels Lösung selber auf.
»Es mir schrecklich peinlich ist«, begann er sichtlich verlegen, »aber mir ist passiert etwas, wo hätte niemals geschehen dürfen. Heute morgen ich selbst öffne die Post, weil durch Taifun Angestellte noch fehlen, und was ich habe plötzlich in der Hand? Brief, wo beginnt mit: ›Dear Gordon!‹ Glauben Sie mir, ich furchtbar erschrocken. Habe nicht gelesen weiter, sondern Bogen schnell zugeknickt und gesteckt in Umschlag.« Damit überreichte er einen Brief, den er hinter sich gehalten hatte. »Ich nur kann bitten um Entschuldigung. Mir sehr leid tun.«
Gordon Cooper hatte das Gefühl, daß Lo Sung die Wahrheit sagte. Im Augenblick aber interessierte ihn das nur an zweiter Stelle. Viel wichtiger war es für ihn, zu erfahren, wer ihm an seine Geschäftsadresse schrieb. Noch dazu, wie ihm die Briefmarke und der Umschlagaufdruck zeigten, aus dem Ashoka-Hotel in Neu-Delhi. Da stimmte doch etwas nicht. »Sie gestatten, daß ich das Schreiben lese«, sagte er, um der Form zu genügen, und zog den Brief aus dem Kuvert.
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Lo Sung beflissen. »Ich will Sie auch nicht länger stören.«
»Nein, bleiben Sie ruhig«, entgegnete Gordon Cooper kurz aufblickend. »Der Brief enthält ja nur wenige Zeilen.« Dann aber faßte er sich plötzlich ans Kinn und rief: »Ich werde verrückt!«
»Eine unangenehme Nachricht?« fragte Lo Sung besorgt.
»Im Gegenteil«, antwortete Cooper, für den es bereits klar war, daß sein Gegenüber Theater spielte. Das Schreiben war zu kurz, als daß ein Mann, der ihn beschatten ließ, es nicht schnell gelesen hätte. In diesem Fall war es jedoch sogar gut, wenn Lo Sung wußte, was ein gewisser Bill Hawker, der sich als Verwandter ausgab, in Wirklichkeit aber jener junge Mann war, der Coopers Koffer in Southampton an Bord der ›Bayern‹ gebracht hatte, aus Delhi schrieb:
›Dear Gordon! Du wirst es nicht glauben, aber ich habe im Lotto gewonnen und genehmige mir nun die Weltreise, die ich mir schon immer wünschte. Wenn Du diesen Brief erhältst, sitze ich bereits in Bangkok, und am 27. Juli treffe ich mit der »Air France« um 15 Uhr 45 in Hongkong ein. Da Dein Schwesterlein mir sagte, Du habest im Augenblick über Tag wahrscheinlich keine Zeit für mich, wäre es nett, wenn Du mich bei Dir unterbringen könntest, damit wir wenigstens am Abend Gelegenheit haben, in Ruhe miteinander zu plaudern. Kannst Du mich am Flugplatz abholen? Herzlichst Dein Schwippschwager Bill.‹
»Kaum zu glauben«, sagte Gordon Cooper an Lo Sung gewandt, während er fieberhaft überlegte, was der Brief bedeuten mochte. »Der Bruder meines Schwagers hat im Lotto gewonnen und macht nun eine Weltreise!«
»Wie schön!« erwiderte der Chinese erfreut.
»Er trifft schon morgen hier ein und fragt an, ob ich ihn bei mir unterbringen kann. Meinen Sie, daß ich mir das ohne Rückfrage bei Mister Sorokin erlauben darf?«
»Aber gewiß!« antwortete Lo Sung. »Mister Sorokin nicht könnte verstehen, wenn Sie Verwandte bringen in Hotel. Das unmöglich in China. Zu Hause
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