Roter Regen
den Hintern
zu jagen! Natürlich wusste auch sie, dass es utopisch war, den Hunger in der
Welt zu bändigen. Aber der Plan von Thomas Hartmann war weniger naiv als alle
Projekte der Gutmenschorganisationen, die sich meist nur gegenseitig auf die
Schultern klopften, wenn sie wieder in irgendeinem afrikanischen Dorf einen
Brunnen geschlagen hatten. Doch Killian hatte sie noch nicht einmal aussprechen
lassen! Er fühlte sich gleich angegriffen, nur weil sie den Fehler gemacht
hatte, den großen Killian in die Nähe eines Sterblichen zu rücken. Er, der die
Welt gesehen und dokumentiert hatte in ihrem Elend, hatte die Gelegenheit
sofort genutzt, um ihr zu zeigen, dass er den Apfel der Weisheit nicht nur
gekostet, sondern schon längst wieder ausgeschissen hatte. Allerdings
unverdaut! Und ausgerechnet er, der Hilfe nötig hätte, unterstellte ihr nun,
dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Und noch mehr: Er hielt es
sogar für möglich, dass sie Hartmann aus Eifersucht hätte umbringen können! Der
Kerl war wirklich gestört. Ein Glück, dass Swintha nur ein halbes Jahr bei
diesem Irren gelernt hatte und dann sofort an der UDK genommen worden war. Bei nächster Gelegenheit würde sie
sie mit einem Besuch in der Hauptstadt überraschen.
Jemand hupte. Die Ampel war grün. Bärbel setzte einen Kavalierstart
hin, dass die Reifen quietschten. Noch lieber hätte sie allerdings den
Rückwärtsgang eingelegt und dem fetten Cherokee den Kühler gerammt. Sie hasste
es, wenn sie nicht sehen konnte, wer in den Autos saß. Jede Wette, dass der
Fahrer zusätzlich noch eine verspiegelte Sonnenbrille trug, damit man ihm nur
nicht ins Herz schauen konnte!
Da Bärbel nun schon mal in Fahrt war, wetterte sie auch gleich noch
gegen die Ampel. Was brauchte ein Dorf wie Bötzingen eine Ampel? Soweit sie
sich erinnern konnte, war es über Jahrzehnte das einzige Dorf in der Umgebung
gewesen, das eine Ampel hatte. Selbst die große Kreuzung in Breisach kam ohne
Ampel aus. Sie würde ihrer Freundin Ellen Brinkhoff, die im Bötzinger
Gemeinderat saß, den Vorschlag unterbreiten, dass man anstelle der Ampel
endlich einen Kreisverkehr anlegen sollte. Mit dem provozierenden Gedanken hob
sich Bärbels Laune. Sie freute sich schon auf die Diskussionen, die dieser
Vorschlag auslösen würde.
Langsam bog sie in die Schillerstraße ein. Eine Wohnsiedlung aus den
siebziger Jahren empfing sie. Die praktische Architektur verschwand überwiegend
hinter noch praktischeren Zypressenhecken. Bärbel parkte ihren Wagen mit zwei
Rädern auf dem Bordstein und steuerte auf ein Zweifamilienhaus zu. Ihr Blick
verfing sich in den S-förmigen Pflastersteinen, als sie den leicht ansteigenden
Weg zur Eingangstür hochlief. Der lange Regen hatte sich zwischen manchen Fugen
tiefe Rinnsale geschaffen. Einzelne Steine stemmten sich wie Stempel aus dem
Pflasterornament.
Bärbel blickte auf die Klingelleiste. Zwei Namen. Der eine lautete
Hartmann, der andere Faller. Bärbel klingelte bei Faller. Es öffnete wie
erwartet niemand; Bärbel zog einen Schlüssel aus ihrer Jacke und schloss die
Haustür auf. Kurz hielt sie inne. Im Erdgeschoss lag die Wohnung von Thomas
Hartmann. Sie hatte keinen Schlüssel dafür, aber im Moment überkam sie der
Wunsch hineinzugehen, um zu sehen, wie Thomas gelebt hatte.
Langsam stieg sie das Treppenhaus hinauf, das mit schwarzen
Granitstufen, anthrazitfarbenem Geländer und Fenstern aus Glasbausteinen im
Stil der Siebziger-Ästhetik gehalten war. Bärbel sortierte die Schlüssel an dem
Bund, mit dem sie die Eingangstür geöffnet hatte, und fand den richtigen, um
ihn in das Schloss der Tür zu schieben, die sie nun zu öffnen gedachte.
Christa Faller hatte ihr den Schlüssel noch in Farnese gegeben, weil
sie nur kurz die Kleider wechseln wollte, um dann direkt nach Rumänien zu
fliegen. Dort warteten Geschäftspartner und Hartmann auf sie. Hartmann wollte
bereits eine Woche früher nach Bukarest, aber irgendjemand hatte dies auf
brutale Weise verhindert. Bärbel hatte den Schlüssel von Christa bekommen, um
die Blumen zu gießen. Auch Hartmanns Schlüssel sollte sie in Christas Wohnung
finden.
Aber Bärbel fand keinen Schlüssel von Hartmanns Wohnung, sondern die
in ihrem Blut liegende Christa Faller. Neben ihr lächelte ungerührt ein
marmorner Buddha aus Carrara. In Bärbels Phantasie wuchs dieses Lächeln zur
Höllenfratze, und sie schrie, so laut sie konnte.
* * *
Belledin bezweifelte, dass Christa Faller zur Verabredung in
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