Roter Regen
Gange, Belledin
besah sich den Buddha, den die Beamten bereits in einen durchsichtigen
Plastiksack gesteckt hatten.
»Om«, machte Wagner und gackerte albern über seinen platten Witz.
Belledin war sich nicht sicher, was ihn mehr abstieß: Wagners Fahne
oder dessen Geschmacklosigkeit. Er hatte den Eindruck, dass es mit seinem
Assistenten seit Januar schlimmer geworden war. Im Grunde kannte er ihn auch
erst seitdem richtig. Wagner war bis Januar vorwiegend im Bürodienst tätig gewesen,
hatte sich aber als überraschend tüchtig erwiesen, als im Außendienst ein
Engpass entstanden war. Belledin hatte gedacht, er würde ihm eine Freude
machen, wenn er ihn als festen Mitarbeiter im Außendienst beantragte. Nun
zweifelte er an seiner Entscheidung.
Dabei war Wagner leidenschaftlicher Kriminologe. Allerdings
beschränkte sich seine Begeisterung auf Morde und Gewaltverbrechen, die sich in
Filmen und Romanen abspielten. Die tatsächliche Anwesenheit des Todes brachte
ihn um den Verstand. Jede wahrhaftige Leiche ließ ihn nächtelang in dunklen
Träumen erschauern. Das einzige probate Mittel, das er bislang gegen seine
Ängste gefunden hatte, war der Alkohol in Form von Mirabellenschnaps, den er
mittlerweile auch schon prophylaktisch zu sich nahm.
Belledin drehte sich angeekelt von Wagner weg und wandte sich Bärbel
zu, die mit verschränkten Armen und gekreuzten Beinen am Sims des Südfensters
lehnte. Sonnenstrahlen verfingen sich in ihrem rot getönten Haar und ließen es
golden aufleuchten. Er ertappte sich dabei, dass er Bärbel mit den Augen eines
Mannes taxierte und sie noch als äußerst attraktiv einstufte. Er gestand sich
auch ein, dass immer eine unterschwellige Erotik schwirrte, wenn sie sich
politisch gestritten hatten – jedenfalls für ihn.
»Willst du mir noch mal erzählen, was du meinem Kollegen bereits
gesagt hast, oder soll ich es nachlesen?«, fragte er freundlich.
»Es gibt nicht viel zu erzählen. Christa hatte mir den Schlüssel
gegeben, damit ich die Blumen gieße. Eigentlich sollte sie schon auf dem Weg
nach Bukarest sein«, antwortete Bärbel sachlich.
»Was wollte sie in Bukarest?«
Bärbel zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass
Thomas Hartmann auch schon seit einer Woche dort sein wollte. Aber er hat die
Reise ebenfalls nicht angetreten …«
Belledin bemerkte, dass Bärbels Stimme im letzten Teil ihrer Aussage
brüchiger geworden war. »Was für ein Verhältnis hattest du zu Hartmann?«
Bärbel blitzte ihn für einen Moment an, und er fühlte sich an die
politischen Scharmützel erinnert. Doch das Flackern wich wieder aus Bärbels
Augen, und ihre Lider senkten sich.
»Thomas Hartmann war mein Dozent. Ich habe eine Ausbildung zur
psychologischen Heilpraktikerin begonnen.«
»Mal wieder selbst die Schulbank drücken? Komisches Gefühl, oder?«
Belledin war selbst überrascht, dass er das sagte.
Bärbel zog die Brauen hoch und blickte ihn lange an. Es lagen ihr
einige Repliken auf der Zunge, aber sie hatte keine Lust auf ein rhetorisches
Gefecht mit dem Kommissar. Außerdem hatte sie in ihrem Kurs gelernt, dass man
weniger auf dem »Appellohr« hören sollte. Vielleicht war Belledins Frage
überhaupt gar kein Angriff gegen sie, sondern eine ehrliche Feststellung? Sie
kannten sich schon seit der Schulzeit aus der Schülermitverwaltung des
Breisacher Martin-Schongauer-Gymnasiums, und jeder wusste um das Waffenarsenal
des anderen. Wenn Killian Bärbel hatte aufziehen wollen, hatte er immer
behauptet, sie und Belledin könnten Geschwister sein, nur dass sie in
entgegengesetzte Richtungen rannten. Vielleicht war da etwas dran? Bärbel ließ
die Brauen sinken.
Belledin nahm es als Zeichen der Entspannung an und besann sich
wieder auf Fragen, die seinen Fall betrafen. »Wo findet der Unterricht statt?«
»Zweimal wöchentlich in Freiburg, direkt in der Uni.«
»Dürfen dort jetzt auch Heilpraktiker unterrichten?«
»Thomas ist … war auch Dozent für Physik.«
»Oh, das wusste ich nicht. Aber Physik ist doch handfeste
Wissenschaft. Wieso beschäftigt sich dann so jemand mit Hokuspokus?«
Bärbel verdrehte die Augen. Dann lächelte sie Belledin an.
»Vielleicht weil irgendwelche Fragen immer offen bleiben?«
Belledin grunzte. Er konnte es sich nicht leisten, dass irgendwelche
Fragen offen blieben. »Und was war in der Toskana?«
»Das war ein zweiwöchiger Intensivkurs. Thomas konnte nur eine Woche
davon halten, weil er überraschend nach Bukarest musste,
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