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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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die
Praxis gekommen wäre, wenn man sie nicht erschlagen hätte. Was er von den
Kollegen vor Ort über Funk erfahren hatte, deutete alles darauf hin, dass sie
schnell von hier hatte verschwinden wollen. Da konnte man einen Kommissar, der
in einem Mordfall ermittelte, schon mal versetzen; selbst wenn der Tote der
Chef und Wohnungsnachbar gewesen war, vielleicht auch mehr. Oder gerade dann?
Nun konnte er Christa Faller nicht mehr dazu befragen. Und statt einem hatte er
jetzt zwei Morde innerhalb von einer Woche, und von einer Spur war Belledin
noch weit entfernt. Noch ein dritter Mord, und die Gazetten würden von einem
Serientäter sprechen. Belledin fühlte sich unter Stress gesetzt, was Ausdruck
darin fand, dass er das Gaspedal seines Audis um einen guten Zentimeter nach
unten drückte.
    Der Wagen rauschte zwischen den überreifen Maisfeldern hindurch. Dem
Mais hatte der Regen wenig ausgemacht, er wuchs immer, solange man ihn nur
ordentlich mit Stickstoff und Kali versorgte. Die Grünen wetterten gegen das
Schweinefutter, weil das stark zehrende Gewächs die Böden auslaugte, und
plädierten für kontrollierten Fruchtwechsel. Aber die Bauern verdienten nun
einmal mehr mit Mais als mit Gründüngung. Belledin verstand die Bauern, er
hatte sie immer verstanden. Immerhin waren seine Eltern und Großeltern
Landwirte gewesen; da wusste man um die Gesetze der Natur, im Gegensatz zu
städtischen Romantikern, die sich einer Grünenbewegung anschlossen, nur weil
sie mal Läuse auf ihren Balkonpflanzen entdeckt hatten und dieser mit
Brennnesseljauche Herr geworden waren.
    Außerdem versetzten die braun verfärbten Maisstöcke Belledin in den
Süden Nordamerikas. Er war zwar nie dort gewesen, aber er liebte eine bestimmte
Art von Filmen, die sein Bild von Amerika geprägt hatte. Einer davon war
Hitchcocks »North by Northwest«. Vor seinem imaginären Auge sah er, wie Cary
Grant vor einem der Maisfelder wartend auf seine Armbanduhr blickt und
plötzlich von einem Flugzeug mit Pestiziden angegriffen wird.
    Im nächsten Moment verschwand das Bild jäh, Belledin nahm den Fuß
vom Gaspedal und stieg damit auf die ABS -Bremsen.
Die Reifen quietschten, der Audi kam fünf Meter vor der Rentnergruppe zu
stehen. Die Walker blickten ihn kopfschüttelnd an, einige schwangen ihre Stöcke
aggressiv gegen den Straßenrowdy, einer wagte es sogar, mit dem Stock eine
Beule in die Motorhaube des Audis zu schlagen. Belledin schnallte sich umgehend
ab und wollte aus dem Wagen springen, aber die Rentnergruppe stieß sich flugs
mit ihren Stöcken vom Boden ab, und die bunten Sporttrikots verschwanden im
Dickicht der Maisfelder. Belledin wollte am liebsten dem Impuls folgen, mit
seinem Wagen durch den Mais zu brettern und die vorwitzigen Alten vor sich her
zu scheuchen. Aber er beließ es beim bloßen Gedanken und fuhr nach Bötzingen
ein, wo ihn ein Fall erwartete, dem mit bloßen Gedanken nicht beizukommen war.
Hier waren Taten gefordert, die schleunigst zu Resultaten führen mussten.
    * * *
    Polizeioberwachtmeister Wagner mochte den Geruch von Räucherstäbchen
nicht, der sich nachhaltig in Christa Fallers Wohnung eingenistet hatte. Er war
erleichtert, als Hauptkommissar Belledin endlich erschien. Trotz des
vernichtenden Regens war Wagner mitten in der Weinlese und hatte sich diese
Woche Urlaub schon drei Monate im Voraus genehmigen lassen. Die Lage im Rebberg
war verheerend. Wagner war nur Hobbywinzer, das aber mit Leib und Seele. Jede
Beere, die ihm am Stock verfaulte, glich einem Freund, den er zu begraben
hatte. Zum Glück hatte er noch ausreichend Tropfen des vorigen Jahrgangs, mit
denen er sich über den Verlust hinwegtrösten konnte. Dementsprechend
aufgequollen trug er auch sein Gesicht spazieren. Jeder sollte sehen, wie sehr
er unter dem diesjährigen Ernteausfall litt.
    Bärbel mochte Wagner nicht ansehen, vor allem aber ertrug sie seine
Alkoholfahne nicht, die er bei jeder Frage, die sein Protokoll von ihm
forderte, ausstieß. Daher war es nur allzu verständlich, dass auch Bärbel
erleichtert war, als Belledin endlich erschien. Bärbel und Belledin waren zwar
keine Freunde, zu unterschiedlich war ihre Sicht auf die Welt und deren
Gesetzmäßigkeiten. Aber sie respektierten sich als politische Gegner, die sie
einmal gewesen waren, ehe jeder von ihnen das Parkett der Kommunalpolitik
wieder verlassen hatte.
    Belledin schüttelte Bärbel kurz die Hand, dann ließ er sich von
Wagner die Details erläutern. Die Spurensicherung war noch zu

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