Roter Regen
Silke
Brenn ihr Plakatlächeln.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen die Umstände machen muss, aber es ist
reine Routine«, versuchte Belledin zum Thema zu kommen. »Wie gut kannten Sie
Hartmann?«
»Er war mein Heilpraktiker«, antwortete Silke gefasst.
»Sind Sie krank?«
Silke kicherte eine Oktave über ihrer normalen Stimmlage. »Jeder ist
krank, das ist nur eine Frage der Perspektive. Solange man Bedürfnisse hat, ist
man krank; nur wer frei ist von Verlangen, ist glücklich und gesund.«
»Klingt nach Buddha.«
»Ich weiß es von Thomas. Er hat mir die Augen geöffnet. Solange wir
von unseren Bedürfnissen nicht lassen können, werden wir leiden. Und Leiden ist
Krankheit. Also bin ich krank.« Silke kicherte wieder, diesmal drohte das
Kichern aber gleich in ein Weinen zu kippen.
Belledin hakte ein: »Und wie war das mit seinen Bedürfnissen? War
Hartmann frei davon?«
Silke verstummte, ihre Wangen röteten sich leicht unter dem starken
Make-up, das sie aufgetragen hatte. Dann umspielte ein entrücktes Lächeln ihre
geschwungenen Lippen, und sie seufzte.
Belledin wartete, bis Silke wieder auf der Erde landete. Endlich
blickte sie ihn an und hauchte: »Er stillte nicht seine Bedürfnisse, sondern
befriedigte die der anderen. Er war ein Geber, kein Nehmer.«
Belledin schluckte eine Ansammlung von Speichel hinunter und fühlte
den Stich im Rachen. Gleichzeitig fragte er sich, ob Silke Brenn noch alle
Tassen im Schrank hatte. Vielleicht hatte sie sich auch etwas eingeworfen. Bei
dieser verwöhnten Göre würde es ihn nicht wundern, wenn sie giftelte. Der
Unterschied zu ihrer Schwester Margit hätte nicht größer sein können. Dort das
erdige Kampfweib, jederzeit bereit, die Widrigkeiten der Realität anzugehen,
hier das luftige Fabelwesen, sich allen Gesetzen der Schwerkraft entziehend;
nicht fassbar, und deswegen so verführerisch. Aber Belledin ließ sich nicht
verführen. Silke war ihm zu ätherisch, das griff bei ihm nicht.
»Wo waren Sie in der Nacht, als Hartmann ermordet wurde?«
Silke erschrak. »Ermordet. Furchtbar. Schon das Wort allein. Wer
macht so etwas? Und warum Thomas? Der hat doch niemandem etwas getan.«
Ihre Worte klangen wie aus einer Seifenoper. Einstudiert und unecht.
War am Ende auch der Zusammenbruch am Grab einstudiert? Eine Choreografie, um
sich in Szene zu setzen? Belledin zweifelte an der Realitätswahrnehmung seiner
Befragten. Oder gaukelte sie ihm nur etwas vor, damit er eben dies glauben
sollte? Er kannte Silke zu wenig. Bei Margit hätte er eher gewusst, woran er
war. Aber dieses Scheinwesen vor ihm gab ihm Rätsel auf, die so billig zu lösen
waren, dass sie schon wieder Vorsicht geboten.
»Wo waren Sie in der Nacht?«
»Fotoshooting. Bei Feruggio. Bis um vier Uhr morgens.«
»So lange?«
»Nicht alle Fotografen erwischen gleich den richtigen Moment«,
lächelte sie abschätzig. »Wenn es nach mir ginge, würde ich einen anderen
nehmen. Aus New York oder London. Einen, der sich mit Promis auskennt.« Sie
zuckte mit den Schultern. »Aber wer denkt hier schon global?«
Belledin blies die Backen auf. Das Getue ging ihm allmählich auf den
Senkel. »Hat Hartmann global gedacht?«,
fragte er.
»Er war das Fenster zur Welt.« Wieder glitt Silkes Blick an Belledin
vorbei und endete irgendwo zwischen zwei Sternbildern entfernter Milchstraßen.
Dann begann ihr Körper zu zucken, und sie heulte ansatzlos los.
Sofort öffnete sich die Tür, und ein besorgter junger Mann mit
schütterem Haar und blassem Teint stürmte das Büro. Er nahm das schluchzende
Bündel Silke Brenn in den Arm und murmelte unverständliche Worte, die wohl
beruhigend wirken sollten.
Belledin kannte Andreas Zimmerlin, den künftigen Gatten der
fürstlichen Silke, und er wusste, dass der Einfaltspinsel den Grillen Silkes
niemals gewachsen sein würde. Er bekam sie nur, weil er von Beruf Sohn war.
Dieser Job wurde nun erweitert um die Sparten Schwiegersohn und Gatte. Und
Zimmerlin versuchte, seine neuen Aufgaben so gut er konnte zu erfüllen.
Ungefragt sagte er inbrünstig: »Silke war bei mir, die ganze Nacht.«
Belledin hatte genug. Die Szene war ihm zuwider. Es war alles so
verlogen, dass es schon wieder wahr sein musste. Er griff seinen Autoschlüssel,
warf sich in den Trenchcoat und verließ das Büro. Sollten sie sich an ihrem
Finale selbst ergötzen. Belledin würde der Schmiere nicht beiwohnen. Er würde
sich die Kämpferin vorknöpfen. Immerhin hatte auch er Halsschmerzen und kam
trotzdem seinen
Weitere Kostenlose Bücher